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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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Gefahr - das war seine unstillbare Sehnsucht, die Neigung und Freundschaft der Menschen zu gewinnen. Er, der im innersten Grunde seines Wesens gefühlt hatte: Gott liebt mich, für Gott ist meine Seele ebenso lieb und kostbar wie jede andere Seele auf Erden.
    Aber hier daheim stieg es wieder in ihm auf - die Erinnerung an alles, was ihn während des Heranwachsens und in der Jugend gequält hatte. Daß die Mutter ihn nicht so liebte, wie sie Erlend liebte. Daß der Vater sich nicht so um ihn bekümmern mochte, wie er sich unablässig um Erlend bekümmerte. Später, bei Baard auf Hestnaes, war immer Erlend der Hervorragende und Erlend der Übeltäter - er ging nur so neben dem Bruder einher. Erlend, Erlend war der Anführer aller jungen Burschen. Erlend war jener, den die Dienstmägde verwünschten und über den sie trotzdem lachten. Und Erlend war der, den er selbst über alles auf Erden liebte. Wenn nur Erlend ihn hätte lieben wollen - aber er konnte an Erlends Gegenliebe nicht satt werden. Erlend war der einzige, der ihn leiden mochte - aber Erlend mochte so viele gut leiden.
    Und nun mußte Gunnulv Zusehen, in welcher Weise der Bruder mit allem umging, was ihm zugefallen war. Gott allein mochte wissen, wie das mit dem Reichtum auf Husaby noch enden würde - in Nidaros wurde über Erlends unverständiges Gebaren genug geredet. Daß er dessen nicht mehr achtete! Gott hatte ihm schon vier schöne Kinder geschenkt - sie waren schön, auch die Kinder, die er während seines losen Lebenswandels gezeugt hatte -, er nahm dies nicht wie eine Gnade hin, sondern wie etwas, was so sein mußte.
    Dann endlich hatte er die Liebe einer reinen feinen Jungfrau aus guter Sippe gewonnen. Wie der Bruder an ihr gehandelt hatte - er konnte Erlend nicht mehr achten, nun, da ihm dies zu Ohren gekommen war. Gunnulv wurde ungeduldig mit sich selbst, wenn er Züge feststellte, die er mit dem Bruder gemeinsam hatte. So alt Erlend war, wurde er doch bald rot und bald blaß, wie ein halberwachsenes Mädchen - und Gunnulv war zornig darüber, weil er fühlte, wie auch in seinem eigenen
    Gesicht das Blut so leicht kam und ging. Das hatten sie von ihrer Mutter - sie wechselte die Farbe um eines Wortes willen.
    Jetzt nahm es Erlend wie etwas Selbstverständliches hin, daß seine Gattin eine gute Frau war, ein Spiegel für alle Hausfrauen - jetzt, nachdem er jahraus, jahrein versucht hatte, dieses junge Kind zu verderben und es in die Irre zu führen. Aber Erlend schien nicht einmal daran zu denken, daß es anders sein könnte - nun, da er verheiratet war mit ihr, die er selbst Wollust, Betrug und Verlogenheit gelehrt hatte, schien es ihm kein Bedürfnis zu sein, seine Gattin dafür zu ehren, daß sie trotz alledem immer noch wahrheitsliebend, treu, ehrbar und gut war.
    Und doch wieder - als im Sommer und im Herbst die Nachrichten von Erlends Fahrten im Norden kamen, da hatte Gunnulv nur eine einzige Sehnsucht gekannt: bei dem Bruder zu sein. Erlend als Stellvertreter und Kriegsmann des Königs in Haalogaland und er, Gunnulv, Verkünder des Gotteswortes in den öden, halb heidnischen Gegenden am Gandviksmeer.
    Gunnulv stand auf. An der einen Schmalwand des Raumes hing ein hohes Kruzifix, und davor lag eine große Steinplatte.
    Er kniete auf der Platte nieder und streckte die Arme nach den Seiten aus. Er hatte seinen Körper zu dieser Stellung abgehärtet und konnte stundenlang so daknien, still wie ein Stein. Die Blicke auf das Kruzifix geheftet, wartete er auf den Trost, der zu ihm kam, wenn er sich ganz zur Betrachtung des Kreuzes sammeln konnte.
    Jedoch der erste Gedanke, der ihm nun kam, war: würde er sich von diesem Bild trennen können? Sankt Franziskus und seine Brüder besaßen Kreuze, die sie sich selbst aus ein paar Ästen gefertigt hatten. Er mußte dieses holde Bildnis wegschenken - der Kirche auf Husaby konnte er es schenken. Bauern, Kinder und Frauen, die dort zur Messe kamen, konnten durch solch ein sichtbares Bild von der liebevollen Milde des Erlösers im Leiden gestärkt werden. Einfältige Seelen wie Kristin. Er selbst würde dessen nicht bedürfen.
    Nacht für Nacht hatte er mit verschlossenen Sinnen und gefühllosen Gliedern auf den Knien gelegen - bis er die Erscheinung sah. Den Hügel mit den drei Kreuzen gegen den Himmel. Jenes Kreuz in der Mitte, ausersehen, den König des Himmels und der Erden zu tragen, zitterte und bebte, es neigte sich wie ein Baum im Sturm, als entsetze es sich davor, die allzu kostbare Last, das Opfer

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