Kristin Lavranstochter 1
höchstgeborenen Frauen gesessen. Mit wachen Augen hatte sie das Betragen ihres Gatten unter den Männern beobachtet, hatte ausgespäht und gelauscht und darüber nachgedacht, wie sie überall spähte und lauschte und nachdachte, wohin sie auch mit Erlend kam und wo sie merkte, daß die Leute über Erlend sprachen.
Gar manches hatte sie erfaßt. Herr Erling Vidkunssohn war bereit, alles dafür einzusetzen, um die Herrschaft Norwegens bis zum Gandviksmeer hinauf zu behaupten, um Haalogaland zu schützen und zu schirmen. Aber Rat und Ritterschaft standen gegen ihn und wollten nichts Ernstliches unternehmen. Der Erzbischof selbst und die Priesterschaft im Erzbistum waren nicht abgeneigt, die Sache mit Geldmitteln zu unterstützen - das wußte sie durch Gunnulv -, aber die übrigen Männer der Kirche im ganzen Lande widersetzten sich, obgleich es einen Krieg mit Gottes Widersachern, Ketzern und Heiden galt. Die Vornehmen arbeiteten gegen den Reichsverweser, jedenfalls hier im Drontheimischen. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, über die Worte der Gesetzbücher und der Krone ein wenig hinwegzugehen, und es behagte ihnen nur schlecht, daß Herr Erling in diesen Stücken den Geist seines seligen Verwandten, des Königs Haakon, so scharf zur Geltung brachte. Jedoch um dieser Dinge willen wollte Erlend sich nicht so verwenden lassen, wie es, soviel sie jetzt verstand, in der Absicht des Reichsverwesers gelegen hatte. Erlend fühlte sich durch das ernsthafte und würdige Wesen des anderen gelangweilt - und da rächte er sich, indem er ein wenig über seinen mächtigen Verwandten spottete.
Kristin glaubte Herrn Erlings Stellung zu Erlend jetzt zu verstehen. Einerseits besaß der Reichsverweser eine Art Vorliebe für Erlend von ihrer gemeinsamen Jugend her, und andererseits hatte er wohl gedacht, gelänge es ihm, den vornehmen und kühnen Herrn auf Husaby zu gewinnen, der aus der Dienstzeit unter Graf Jacob auch einige Erfahrung in der Kriegskunst hatte - jedenfalls mehr als die meisten der anderen, die immer nur daheim auf ihren Höfen saßen -, so könnte dies sowohl für seinen eigenen Plan als auch für Erlends Wohlergehen von Nutzen sein. Aber dahin war es also nicht gekommen.
Zwei Sommer hatte Erlend bis in den späten Herbst hinein draußen gelegen, war in den Gewässern der langen Nordküste umhergekreuzt und hatte mit den vier kleinen Fahrzeugen, die seiner Fahne folgten, auf die Räuberschiffe Jagd gemacht. Er war ganz oben im Norden, in Tana, an Land gegangen, um in einer norwegischen Neusiedlung frische Lebensmittel zu holen, gerade als die Karelen dort im Begriff waren zu plündern - und mit der Handvoll Leute, die mit ihm an Land gekommen war, hatte er achtzehn der Räuber gefangen und sie an dem Firstbalken der halbverbrannten Scheune aufgehängt. Er hatte eine Schar Russen niedergehauen, die ins Gebirge fliehen wollte, hatte irgendwo draußen zwischen den Schären einige feindliche Schiffe ausgeräumt und verbrannt. Im Norden gingen Gerüchte von seinem raschen Wagemut; seine Untergebenen aus dem Drontheimischen und aus Möre liebten ihren Anführer um seiner Abgehärtetheit willen und weil er bereit war, alle Mühsal und alle Härten des Lebens mit seiner Mannschaft zu teilen. Er hatte Freunde gewonnen, sowohl unter den kleinen Leuten als auch unter den jungen Söhnen der Großen nördlich in Haalogaland, wo die Menschen sich nun beinahe daran gewöhnt hatten, ihre eigenen Küsten allein verteidigen zu müssen.
Aber trotzdem gereichte Erlend dem Reichsverweser nicht zur Hilfe bei seinen Plänen für einen großen Kreuzzug nach Norden. Im Drontheimischen prahlten zwar die Leute mit seinen Taten im Kampf gegen die Russen - wenn die Rede hierauf kam, erinnerten sie sich gerne daran, daß er ihr Landsmann war. Ja, es hatte sich da gezeigt, daß in den jungen Burschen hier im Fjord noch die gute alte Art steckte! Aber was ErIend von Husaby auch sagte und was er auch tat, nie war es etwas, was erwachsene und verständige Männer verpflichten konnte.
Sie sah, daß Erlend auch weiterhin zu den Jungen gezählt wurde. Obgleich er ein Jahr älter war als der Reichsverweser. Sie verstand, es sagte vielen sehr zu, daß er so war und daß seine Worte und seine Taten als Ratschlag und Handlungsweise eines jungen, unbesonnenen Mannes hingestellt werden konnten. Auf diese Weise war er beliebt und verwöhnt, und man prahlte mit ihm - ohne ihn doch als vollberechtigten Mann zu nehmen. Und sie sah, wie bereitwillig er
Weitere Kostenlose Bücher