Kristin Lavranstochter 1
Frieden zu schonen. Und es war nicht Frieden, was er später bei ihr gefunden hatte, und er fand auch jetzt keinen Frieden bei ihr. Obgleich er sah, daß alle anderen auf Husaby Frieden bei seiner jungen Frau fanden.
Und jetzt sehnte er sich nur danach, fortzukommen zu Unfrieden. Er sehnte sich wild und verrückt nach dieser einsamen Insel und nach dem donnernden Meer rings um die Vorländer dort oben im Norden, nach der endlosen Küste und den gewaltigen Fjorden, die alle Fallen und allen Verrat der Welt in sich bergen konnten, nach den Menschen, deren Sprache er nur bruchstückweise kannte, nach ihrer Zauberkunst und Wankelmütigkeit und Durchtriebenheit, nach Krieg und See und nach dem Gesang seiner eigenen Waffen und dem seiner Leute.
Erlend schlief endlich ein und wachte wieder auf - was hatte er doch jetzt geträumt? Ja, ihm träumte, er habe in einem Bett gelegen mit einem schwarzen Lappenmädchen an jeder Seite, Irgend etwas halb Vergessenes mußte es sein, etwas, was ihm begegnet war, damals, als er mit Gissur oben im Norden war -eine wilde Nacht, da sie alle betrunken und wie von Sinnen gewesen waren. Er konnte sich von dem Ganzen an nichts weiter erinnern als an den herben Wildgeruch der Frauen.
Hier lag er nun mit seinem kleinen kranken Sohn im Arm und hatte solche Träume. Er erschrak so sehr über sich selbst, daß er nicht mehr einzuschlafen wagte. Und er vermochte nicht wach zu bleiben. Ja, er mußte doch ein Unglücksmann sein. Starr vor Angst, lag er unbeweglich da und fühlte das Herz in der Brust pochen, indes er sich nach der Erlösung durch das Morgengrauen sehnte.
Er vermochte Kristin zu überreden, daß sie den nächsten Tag im Bett blieb. Denn er glaubte es nicht mit ansehen zu können, wie sie sich - so elend - im Haus herumschleppte. Er saß bei ihr und spielte mit ihrer Hand. Sie hatte die schönsten Arme gehabt - schlank, aber doch so rund, daß die feinen kleinen Knöchel in den zarten Gelenken nicht hervortraten. Jetzt standen die Knöchel an dem abgemagerten Arm wie Knollen heraus, und die Haut an der Innenseite war bläulichweiß.
Draußen stürmte und regnete es, daß das Wasser am Hang aufspritzte. Als Erlend gegen Abend einmal von der Waffenkammer herunterkam, hörte er Gaute irgendwo auf dem Hofplatz schmerzlich schreien und weinen. Da fand er in dem engen Durchlaß zwischen zwei Gebäuden seine drei kleinen Söhne; mitten unter dem vom Dach herabströmenden Regenwasser saßen sie. Naakkve hielt den Kleinen mit beiden Händen fest, während Björgulv versuchte, dem schreienden Kind einen lebenden Wurm hineinzuzwingen - Björgulv hatte die ganze Hand voll hellroter Würmer, die sich zwischen seinen Fingern krümmten und wanden.
Die Knaben standen mit gekränkten Mienen da, während der Vater sie ausschalt. Aan, der Alte, so verteidigten sie sich, hätte doch gesagt, daß Gaute seine Zähne schmerzlos bekommen würde, wenn man ihn dazu bringen könnte, ein Stück von einem lebenden Wurm abzubeißen.
Sie waren alle drei triefend naß vom Scheitel bis zur Sohle. Erlend brüllte nach den Kindsmägden - die kamen herbeigestürzt, eine aus der Arbeitsstube und eine aus dem Stall. Der Herr zankte sie fluchend aus, schob Gaute wie ein Ferkel unter den Arm und jagte die anderen vor sich her in die Halle.
Bald darauf saßen die Kleinen, trocken und zufrieden, in ihren blauen Feiertagskitteln in einer Reihe auf der Stufe vor dem Bett der Mutter. Der Vater hatte sich einen Hocker herbeigeholt, erzählte allerlei Unsinn und drückte die Kinder lachend an sich, um den letzten Rest des nächtlichen Schreckens in seinem eigenen Innern zu betäuben. Die Mutter jedoch lächelte glücklich, weil Erlend mit ihren Kindern spielte. Erlend erzählte, er besitze eine Lappenhexe, zweihundert Winter alt und so eingetrocknet, daß sie nicht größer sei als so... Er bewahre sie in einem Fellbeutel in der großen Kiste auf, die in seinem Bootsschuppen stehe. Ja, freilich, sie bekomme etwas zu essen: in jeder Weihnacht einen Christenschinken; damit reiche sie ein ganzes Jahr lang. Und wenn die Kinder nicht still und gut wären und nicht aufhörten, die kranke Mutter zu ärgern, dann würden auch sie in diesen Fellsack gesteckt werden.
„Die Mutter ist krank, weil sie unsere Schwester trägt“, sagte Naakkve, stolz darauf, daß er sich darin auskannte.
Erlend zog den Knaben an den Ohren zu sich heran.
„Ja - und wenn sie geboren ist, diese eure Schwester, dann werde ich meiner Lappenhexe sagen,
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