Kristin Lavranstochter 1
Aber als er näher kam, sah er, daß es ein alter Birkenstamm war.
Am nächsten Abend, als seine Leute ihn in die Stadt segelten, saß der Priester selbst am Ruder. Er fühlte sein Herz fest und neugeboren in der Brust, jetzt konnte nichts seinen Vorsatz zum Wanken bringen.
Er wußte nun, was ihn in der Welt zurückgehalten hatte: es war die unstillbare Sehnsucht, die er seit seinen Knabenjahren empfunden hatte. Er wollte die Zuneigung der Menschen gewinnen. Um geliebt zu werden, war er gütig, sanft und voller Scherz gegen geringe Leute gewesen; er hatte seine Weisheit glänzen lassen, aber mit Zurückhaltung und Demut unter den Priestern in der Stadt, damit sie ihn lieben sollten; er war nachgiebig gewesen gegen Herrn Eiliv Kortin, da dieser mit seinem Vater befreundet war und da er wußte, wie Herr Eiliv die Leute gerne haben wollte. Er war liebevoll und sanft zu Orm gewesen, um dem launischen Vater ein wenig von der Liebe des Knaben abzugewinnen. Und er war streng und heischend gegen Kristin gewesen, weil er verstand, daß sie jemand brauchte, der nicht zurückwich, wenn sie nach einer Stütze griff, jemand, der nicht irreführte, wenn sie kam und folgewillig war.
Aber nun sah er es klar - es war ihm mehr darum zu tun gewesen, ihr Vertrauen für sich selbst zu gewinnen als sie im Vertrauen zu Gott zu stärken.
Heute abend nun hatte Erlend das Wort gefunden. Nicht mein Bruder, nicht mehr als der Bruder aller Menschen. Das war der Umweg, den er gehen mußte, ehe seine Bruderliebe irgendeinem Menschen nützen konnte.
Zwei Wochen später hatte er seine Güter unter seine Verwandten und die Kirche verteilt und das Profeßgewand der Prädikantenbrüder angelegt. Und nun im Frühjahr, da alle Gemüter durch das entsetzliche Unglück, das das Land heimsuchte, bis zum Grund aufgewühlt waren - der Blitz hatte die Christkirche in Nidaros, Sankt Olavs Haus, angezündet und bis zur Hälfte niedergebrannt -, war es Gunnulv gelungen, die Unterstützung des Erzbischofs für seinen alten Plan zu gewinnen. Zusammen mit Bruder Olav Jonssohn, der gleich ihm zum Priester geweiht war, und drei jüngeren Mönchen, einem aus Nidaros und zweien vom Prädikantenorden in Björgvin, zog er nun nach Norden, um den unseligen Heiden, die innerhalb der Grenzen eines christlichen Landes in Finsternis lebten und starben, das Licht des Wortes zu bringen.
Christus, du Gekreuzigter! Jetzt habe ich alles weggegeben, was mich binden konnte. Mich selbst habe ich in deine Hand gegeben, wenn du mich für würdig befindest, mit meinem Leben die Leibeigenen des Satans freizukaufen. Nimm mich, auf daß ich erkenne, daß ich dein Sklave bin, denn dann besitze ja auch ich dich. - Dann würde wohl einmal, wieder einmal sein Herz in der Brust rufen und singen, wie es gerufen und gesungen hatte, als er über die grünen Ebenen bei Romaborg, von Pilgerkirche zu Pilgerkirche, dahinwanderte: Ich gehöre meinem Geliebten, und zu ihm steht mein Begehren.
So lagen die Brüder da und dachten sich, jeder auf seiner Bank in der kleinen Hütte, in den Schlaf. Auf der Feuerstätte zwischen ihnen glomm ein wenig Glut. Immer weiter und weiter entfernten sie sich voneinander in ihren Gedanken. Und am nächsten Tag fuhr der eine gen Norden und der andere gen Süden.
Erlend hatte Haftor Graut versprochen, nach Godöy zu fahren und seine Schwester mit nach Süden zu nehmen. Sie war mit Baard Aasulvssohn in Lensviken verheiratet - dieser war auch ein Verwandter von Erlend, aber sehr entfernt.
Am ersten Morgen, als Margygren in der schönen Brise mit geblähten Segeln gegen das blaue Gebirge durch den Godöy Sund hinausschnitt, stand Erlend oben achtern auf seinem Schiff. Ulv Haldorssohn führte das Ruder. Da kam Sunniva an Deck. Die Kapuze des Mantels war ihr herabgefallen, und der Wind strich das Kopftuch von ihrem sonnengelben, gekräuselten Haar zurück. Sie hatte die gleichen meerblauen, blitzenden Augen wie der Bruder, und wie er war auch sie schön von Angesicht; aber sie hatte viele Sommersprossen, auch auf den kleinen rundlichen Händen.
Vom ersten Abend an, da er sie auf Godöy sah - wenn ihre Augen sich trafen, blickten sie zur Seite und mußten heimlich lächeln, alle beide -, hatte Erlend gewußt, daß sie ihn kannte -und er kannte sie. Sunniva Olavstochter - die konnte er mit der bloßen Hand nehmen, und sie wartete darauf, daß er es tun würde.
Nun, als er mit ihrer Hand in der seinen dastand - er hatte ihr heraufgeholfen -, fiel sein Blick auf Ulvs
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