Kristin Lavranstochter 1
auf und verdunkelte sich wieder, je nachdem die Schatten der großen, hellen Gutwetterwolken darüber hinzogen. Unaufhörlich wallten sie aus den fernen Tälern und Schluchten auf und sanken wieder zurück zwischen die Felskuppen und blauen Berge, die mit Neuschneefeldern und alten Firnen weit draußen am Gesichtskreis den Blick begrenzten. Die kleinen graugrünen Getreideäcker, die zu der Gebirgsherberge gehörten, unterschieden sich in ihrer Farbe so seltsam von dieser herbstlich leuchtenden Bergwelt.
Der Wind blies scharf und frisch - Lavrans zog Kristin die Kapuze, die ihr der Wind über die Schultern geweht hatte, wieder um den Kopf und glättete den Zipfel des Kopflinnens darunter.
„Mich dünkt, du bist bleich und schmalwangig geworden auf meinem Hof daheim“, sagte er. „Sind wir nicht gut zu dir gewesen, Kristin?“
„Doch, das seid ihr. Das ist es nicht..
„Es ist ja auch eine mühselige Reise für dich mit allen diesen Kindern“, meinte der Vater.
„Ach ja. Obgleich nicht diese fünf daran schuld sind, daß ich bleiche Wangen habe“, sie lächelte flüchtig, und als der Vater sie erschrocken und fragend ansah, nickte sie und lächelte leise zurück. Der Vater blickte weg, aber nach einer Weile fragte er:
„Verstehe ich recht, du wirst also vielleicht nicht so bald wieder in unser Tal heimkommen?“
„Acht Jahre soll es nun diesmal nicht wieder dauern“, sagte sie wie vorher. Da erhaschte sie einen Schimmer von dem Gesicht des Mannes. „Vater! O Vater!“
„Still, still, meine Tochter“, unwillkürlich faßte er sie bei den Armen und hielt sie zurück, als sie sich an seine Brust werfen wollte. „Nein, Kristin ...“
Er nahm ihre Hand fest in die seine und begann mit ihr zu gehen. Sie hatten sich ein wenig von den Häusern entfernt, folgten nun einem Steig durch das gelbe Birkendickicht, ohne zu wissen, wo sie gingen. Der Vater sprang über einen kleinen Bach, der den Pfad kreuzte, wandte sich zur Tochter zurück und reichte ihr die Hand hinüber.
Sie sah, selbst an dieser kleinen Bewegung, daß er nicht mehr so gelenkig und voller Spannkraft war wie einst. Sie hatte es schon früher gesehen und dessen nicht geachtet - er sprang nicht mehr so leicht in den Sattel, wie er früher zu tun pflegte, er lief nicht mehr in einem Satz die Treppe hinauf, hob einen schweren Gegenstand nicht mehr so wie sonst. Er bewegte seinen Körper steifer und vorsichtiger - als trüge er einen schlummernden Schmerz im Körper, den er nicht wecken wollte. Das Blut pochte sichtbar in den Halsadern, wenn er von einem Ritt heimkehrte. Bisweilen hatte sie bemerkt, daß sein Gesicht wie geschwollen war und daß er Säcke unter den Augen hatte - sie entsann sich eines Morgens, als sie in die Stube kam und der Vater halb angekleidet im Bett lag, die nackten Beine herausgestreckt ; die Mutter hockte vor ihm und rieb seine Knöchel.
„Wenn du um jeden Mann trauern willst, den das Alter fällt, dann wirst du viel klagen müssen, Kind“, sagte er ruhig und still. „Du hast jetzt selbst große Söhne, Kristin, es kann dir doch nicht unerwartet kommen, wenn du siehst, daß dein Vater bald ein alter Mann ist. Hätten wir uns getrennt, als ich noch jung war - hätten wir doch auch nicht sicherer wissen können als jetzt, ob wir uns auf Erden wieder treffen würden. Dennoch kann ich noch lange leben - es kommt, wie Gott will, Kristin.“
„Seid Ihr krank, Vater?“ fragte sie tonlos.
„Einige Beschwerden bringen die Jahre mit sich“, erwiderte der Vater leichthin.
„Ihr seid nicht alt, Vater. Ihr seid zweiundfünfzig Jahre.“
„Mein Vater wurde nicht so alt. Komm und setz dich zu mir.“
Es war hier wie ein niedriges, grasüberwuchertes Kissen unter einer Felswand, die sich über den Bach neigte. Lavrans nahm den Umhang ab, faltete ihn zusammen, setzte sich und zog die Tochter zu sich herab. Vor ihnen gluckste und rieselte der Bach über die kleinen Steine dahin, spielte mit einem Weidenzweig, der ins Wasser hinabtauchte. Der Vater saß da, den Blick den blauen und weißen Bergen weit hinter der herbstlichen Hochfläche zugewandt.
„Ihr friert, Vater“, sagte Kristin, „nehmt meinen Umhang.“ Sie nestelte den Haken auf, dann nahm Lavrans das Tuch und schlang sich den einen Zipfel um seine Schultern, so daß sie beide darin eingehüllt waren. Er legte seinen Arm um ihre Mitte.
„Du weißt doch, meine Kristin, unweise ist der, der über den Hingang eines Menschen weint. Du bist besser bei Christus
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