Kristin Lavranstochter 1
ausreiten und sie überallhin mitnehmen konnte, nahm er sich der Knaben mehr an. Simon bemerkte, daß Kristin keine ungeteilte Freude darüber empfand - es dünkte sie, daß sie nicht nur Gutes lernten, wenn sie mit den Leuten des Vaters zusammen waren. Gerade wegen der Kinder fielen die meisten unfreundlichen Worte zwischen den Eheleuten - selbst wenn sie nicht geradezu stritten, so waren sie doch jedenfalls viel öfters nahe daran, als Simon es für geziemend hielt. Und es dünkte ihn, Kristin habe die größere Schuld. Erlend wurde leicht heftig - sie aber sprach oft wie aus einem tiefen und verborgenen Groll heraus. So war es eines Tages, als sie einige Klagen über Naakkve vorbrachte. Der Vater erwiderte, er wolle mit dem Knaben im Ernst reden - als dann Kristin daraufhin etwas sagte, rief er zornig aus, schon des Gesindes wegen könne er den großen Sohn doch wohl nicht verprügeln.
„Nein, dazu ist es jetzt zu spät - hättest du es getan, solange er jünger war, dann würde er jetzt auf dich hören. Damals aber schautest du ihn überhaupt nie an.“
„O ja, das tat ich wohl. Aber es war doch wohl begreiflich, daß ich ihn dir überließ, solange er klein war - und es ist doch auch kein Manneswerk, kleine Buben zu verhauen, die noch nicht einmal Hosen anhaben.“
„In der vergangenen Woche hast du nicht so gedacht“, erwiderte Kristin höhnisch und bitter.
Erlend gab keine Antwort, sondern stand auf und ging hinaus. Und Simon fand, dies sei von Kristin nicht schön gesagt. Sie hatte auf etwas angespielt, was sich in der Woche vorher zugetragen hatte. Erlend und Simon kamen damals auf den Hofplatz hereingeritten, und der kleine Lavrans lief ihnen mit einem Holzschwert entgegen. Als er am Pferd des Vaters vorbeilief, schlug er im Übermut mit dem Schwert nach dem Bein des Tieres. Dieses bäumte sich auf, gleich darauf lag der Knabe unter den Pferdehufen. Erlend riß den Gaul zurück und zwang ihn zur Seite, warf Simon die Zügel zu; er war weiß im Gesicht vor Schrecken, als er den Kleinen in seine Arme aufhob. Als er aber sah, daß dem Kind gar nichts zugestoßen war, legte er den Kleinen über seinen linken Arm, nahm das Holzschwert und klopfte damit Lavrans’ blanken Hintern - der Junge hatte noch keine Hosen an. In der ersten Erregung fühlte er nicht, wie hart er zuschlug, und Lavrans ging immer noch mit blaugrünem Sitzfleisch umher. Danach aber versuchte Erlend den ganzen Tag über mit dem Knaben wieder gut Freund zu werden - doch der Kleine trotzte, hielt sich zur Mutter und schlug und stieß nach seinem Vater. Und als der kleine Lavrans am Abend im Ehebett, wo er schlief - denn er wurde nachts noch von der Mutter gestillt zur Ruhe gebracht worden war, saß Erlend den ganzen Abend bei ihm; von Zeit zu Zeit berührte er leise das schlafende Kind und betrachtete es. Er sagte selbst zu Simon, daß er von seinen Söhnen diesen Knaben am meisten liebe.
Als Erlend zu den Sommerthingversammlungen auszog, machte sich Simon auf den Heimweg. Er ritt das Gaultal aufwärts, so daß die Funken unter den Hufen stoben. Einmal, sie ritten gerade einige Hügel etwas langsamer hinan, fragten seine Leute lachend, ob sie denn einen Weg von drei Tagen in zweien zurücklegen sollten. Simon gab lachend zur Antwort, das möchte er am liebsten, „denn jetzt sehne ich mich nach Formo“. Das war stets der Fall, wenn er eine Zeitlang von seinem Hof weggewesen war - er war gern daheim und freute sich stets, wenn er sein Pferd heimwärts lenken konnte. Aber ihn dünkte, so wie diesmal habe er sich noch nie danach gesehnt, zu dem Tal und dem Hof und zu seinen kleinen Töchtern heimzukommen - ja, er sehnte sich jetzt auch nach Ramborg. Im Grunde schien es ihm unvernünftig - aber dort auf Husaby war ihm so zumute gewesen, daß er nun zu verstehen glaubte, was das Vieh am Leibe spürt, wenn ein Gewitter aufzieht.
2
Den ganzen Sommer hindurch dachte Kristin an nicht viel anderes als an das, was Simon ihr vom Tode ihrer Mutter erzählt hatte.
Ragnfrid Ivarstochter war allein gestorben - niemand war bei ihr gewesen, als sie ihren letzten Seufzer tat, außer einer Dienerin, die schlief. Es nützte nicht viel, zu denken, daß sie, wie Simon sagte, ja doch wohlvorbereitet gestorben war. Wie durch eine besondere Fügung Gottes hatte sie einige Tage zuvor einen solchen Hunger nach dem Leib des Erlösers empfunden, hatte gebeichtet und das Sakrament bei dem Priestermönch im Kloster empfangen, der ihr Seelsorger war. Gewißlich
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