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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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war ihr ein guter Tod zuteil geworden - Simon hatte ihren Leichnam gesehen und sagte, es sei ein merkwürdiger Anblick für ihn gewesen. Sie sei so schön geworden im Tode; sie war doch eine
    Frau nahe den Sechzigern und hatte schon seit vielen Jahren ein stark gefurchtes und faltiges Gesicht gehabt - aber dieses sei nun ganz verändert gewesen, verjüngt und geglättet, sie habe geradezu wie eine schlafende junge Frau ausgesehen. Nun war sie an der Seite ihres Gatten zur letzten Ruhe gebettet worden; dorthin hatte man auch kurze Zeit nach Lavrans’ Tod die Überreste Ulvhild Lavranstochters übergeführt. Über die Gräber war eine große Steinplatte gelegt worden, die durch ein schön gehauenes Kreuz in zwei Teile geteilt wurde, und auf einem verschlungenen Band stand ein langer lateinischer Vers geschrieben, den der Klosterprior gedichtet hatte - aber Simon konnte sich des Inhaltes nicht mehr genau entsinnen, denn er verstand nicht viel von dieser Sprache.
    Ragnfrid hatte in dem Hof oben in der Stadt, in dem die Pfründner des Klosters wohnten, ein Haus für sich selbst gehabt - zu ebener Erde einen einfachen Raum und darüber eine schöne Dachstube. Dort oben wohnte sie allein mit einer armen Bauernfrau, die sich bei den Brüdern gegen eine geringe Bezahlung verdungen hatte, um der einen oder anderen der reicheren Pfründnerinnen behilflich zu sein. Im letzten halben Jahr aber war wohl Ragnfrid es gewesen, die der anderen diente, denn die Witwe - Torgunna hieß sie - war sehr gebrechlich geworden, und Ragnfrid pflegte sie mit großer Liebe und Sorgfalt.
    Am letzten Abend, den sie erlebte, war sie in der Klosterkirche zum Nachtgesang und danach im Küchenhaus des Pfründnerhofes gewesen. Sie kochte eine gute Suppe mit einigen Stärkungsmitteln darin und sagte zu den anderen Frauen, diese wolle sie Torgunna geben, dann, hoffe sie, könne die Frau am nächsten Morgen so gekräftigt sein, daß sie den Frühgesang besuchen könne. Das war das letztemal, daß man die Jörundhofwitwe am Leben sah. Weder sie noch die Bäuerin kamen zur ersten Gebetsstunde, und auch nicht zur Prim. Als einige der Mönche im Chor bemerkten, daß Ragnfrid auch zur Tagesmesse nicht in der Kirche war, wunderten sie sich - sie hatte noch nie drei Gottesdienste an einem Tage versäumt. Da sandten sie einen Boten in die Stadt hinauf, um fragen zu lassen, ob Lavrans Björgulvssohns Witwe krank sei. Als die Leute in den Dachraum kamen, fanden sie die Suppenschüssel unberührt auf dem Tisch stehen; im Bett schlief Torgunna friedlich, der Wand zugekehrt, Ragnfrid Ivarstochter aber lag vor der Bettstatt, die
    Hände über der Brust gefaltet, tot und schon beinahe ganz kalt. Simon und Ramborg kamen zu ihrem Leichenbegängnis herbeigeeilt, das sehr schön war.
    Jetzt, da so viele Menschen auf Husaby lebten und Kristin sechs Söhne hatte, fand sie nicht mehr die Zeit dazu, alle die einzelnen Arbeiten, die der Haushalt mit sich brachte, zu überwachen. Sie mußte eine Schaffnerin unter sich haben, und meistens saß nun die Hausfrau mit einer Näharbeit beschäftigt in der Halle; es gab stets jemand, der Kleider brauchte, Erlend, Margret oder die Knaben.
    Zum letzten Male hatte sie ihre Mutter gesehen, wie diese hinter der Bahre des Vaters ritt - an jenem hellen Frühlingstag, da sie selbst auf der Wiese bei Jörundhof stand und den Leichenzug ihres Vaters sich über den grünen Teppich des Winterroggens unter dem Geröllfeld dahinbewegen sah.
    Kristins Nadel flog und flog, und sie dachte an die Eltern und an die Heimat auf Jörundhof. Jetzt, da alles Erinnerung war, schien es ihr, sie erblicke so vieles, was sie nicht gesehen hatte, als sie noch mittendrin lebte und die Liebe und den Schutz des Vaters und die unentwegte stille Fürsorge und Arbeit der schweigsamen, schwermütigen Mutter als etwas Selbstverständliches hinnahm. Sie dachte an ihre eigenen Kinder - sie liebte diese mehr als das Blut ihres Herzens und verlor sie in keiner wachen Stunde aus dem Sinn. Trotzdem ging ihr vieles und mancherlei durch den Kopf, worüber sie grübelte - die Kinder liebte sie, ohne zu grübeln. Solange sie daheim war, hatte sie nie etwas anderes gedacht, als daß das ganze Leben der Eltern und deren Tun und Handeln sich nur um ihret-und ihrer Schwestern willen abspiele. Jetzt glaubte sie zu verstehen, wie zwischen ihren Eltern, die von den Vätern in ihrer Jugend beinahe unbefragt zusammengegeben worden waren, heftige Ströme des Kummers und der Freude hin und

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