Kristin Lavranstochter 1
wider geflossen waren - sie wußte von nichts, wußte nur, daß sie gemeinsam aus ihrem Leben gegangen waren. Jetzt begriff sie, daß das Leben dieser beiden Menschen noch vieles andere umschlossen hatte als nur die Liebe zu den Kindern - und doch war diese Liebe stark und weit und unergründlich tief gewesen, während ihre, Kristins, Gegenliebe schwach und gedankenlos und eigensüchtig gewesen war, auch damals, in ihrer Kindheit, als die Eltern noch die ganze Welt für die Kinder bedeuteten. Es war ihr, als sehe sie sich selbst weit, weit entfernt stehen -ganz klein durch diesen Abstand von Zeit und Entfernung; sie stand unter dem Strom von Sonnenlicht, das durch das Rauchloch in der alten Feuerstube daheim, der Winterstube in ihrer Kindheit, hereinströmte. Die Eltern standen ein wenig im Dunkel des Raumes, sie wirkten so groß, wie sie damals auf sie gewirkt hatten, als sie klein war, und sie lächelten ihr zu - so, wie sie nun selbst wußte, daß man lächelt, wenn ein kleines Kind zu einem kommt und schwere und bedrückende Gedanken beiseite schiebt.
„Ich dachte, Kristin, wenn du selbst einmal Kinder geboren hast, dann wirst du wohl besser verstehen .. .“
Sie entsann sich noch, wie die Mutter dies sagte. Traurig dachte die Tochter - daß sie wohl auch jetzt ihre Mutter noch nicht verstand. Aber sie begann zu begreifen, wie vieles sie nicht verstand.
In diesem Herbst starb Erzbischof Eiliv. Ungefähr um die gleiche Zeit traf König Magnus eine Veränderung in den Bedingungen mehrerer Vögte des Landes, aber nicht bei Erlend Nikulaussohn. Erlend hatte, als er im letzten Sommer, bevor der König mündig wurde, in Björgvin war, es verbrieft bekommen, daß er von den Gebühren für Freibriefe, Bußen für Ungehorsam gegen königliches Gebot und bei Besitzeinziehung den vierten Teil erhalten sollte - es war viel darüber geredet worden, daß er gegen Ende einer Reichsverweserschaft noch solche Belehnung bekam. Da Erlend viele Ländereien im Gau besaß und meistens auf seinen eigenen Höfen wohnte, wenn er von Amts wegen umherfuhr, die Bauern jedoch ihre Herbergspflicht gegen ihn mit Geld ablösen mußten, hatte er große Einkünfte. Allerdings bekam er wenig an Landzins herein, und er führte ein großes Haus. Abgesehen vom Gesinde, hatte er nie weniger als zwölf bewaffnete Männer bei sich auf Husaby; diese ritten die besten Pferde und waren vortrefflich ausgerüstet, und wenn er im Gau umherfuhr, so wurden seine Leute mit Herrenkost verpflegt.
Eines Tages, als Richter Harald und der Vogt vom Gauldölagau auf Husaby waren, kam die Rede hierauf. Erlend erwiderte, viele dieser Männer seien mit ihm gewesen, als er oben im Norden gelebt habe. „Da teilten wir alles, wie es sich traf. Dörrfisch und abscheuliches Bier. Nun wissen die Männer, denen ich Nahrung und Kleidung gebe, daß ich ihnen weißes
Brot und starkes Bier gönne; und wenn ich sie im Zorn zur Hölle schicke, so wissen sie doch, daß sie sich nicht eher auf den Weg zu machen brauchen, als bis ich selbst voranreite.“
Ulv Haldorssohn, der jetzt der Anführer von Erlends Leuten war, äußerte denn auch später zu Kristin, daß es sich ganz so verhalte. Erlends Männer liebten ihn, und er hatte sie völlig in der Hand.
„Das weißt du selbst, Kristin - niemand darf Erlends Reden so sehr ernst nehmen, man muß ihn nach seinen Taten beurteilen.“
Im übrigen erzählte man sich auch, daß Erlend außer seinen Leuten auch noch in den Tälern Männer habe - auch außerhalb des Orkdölagaues -, die er durch einen Eid auf seinen Schwertknauf an sich gebunden hatte. Schließlich kam denn auch ein Königsbrief in dieser Sache, aber Erlend antwortete, diese Männer hätten zu seiner Schiffsmannschaft gehört und er habe sie im ersten Frühjahr, als er nach Norden fahren sollte, vereidigt. Es wurde ihm dann auferlegt, seine Leute beim nächsten Thing, das er abhalten würde, um Urteil und Rechtsspruch kundzugeben, vom Eide zu entbinden und hierzu auch die Männer aus anderen Gauen zur Zusammenkunft zu berufen und ihnen die Reise zu bezahlen. Er hatte dann auch wirklich zu dem Thing in Orkedal einige seiner alten Schiffsleute von Möre draußen einberufen - aber niemand erfuhr etwas davon, daß er sie oder irgendeinen anderen Mann, dessen Anführer er gewesen war, des Eides entbunden hätte. Die Angelegenheit wurde indessen nicht weiter verfolgt, und im Laufe des Herbstes hörten die Leute auf, darüber zu reden.
Im Spätherbst reiste Erlend nach dem
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