Kristin Lavranstochter 1
gegen diesen Mann eingenommen; sie kannte ihn nicht, aber sie kannte seine Schwester Helga Saksestochter, die mit Gyrd Darre auf Dyfrin verheiratet war. Diese war schön, aber sehr hochmütig, und Simon liebte sie nicht, obgleich Ramborg sich gut mit ihr vertrug. Im Laufe der Fastenzeit kamen dann Briefe an die Vögte, Ulv Saksessohns Landesverweisung solle auf den Thingen verkündet werden, aber da war er bereits mitten im Winter schon außer Landes gesegelt.
Dieses Frühjahr verbrachten Kristin und Erlend die Osterzeit in ihrem Haus in der Stadt und hatten das kleinste Kind, Munan, bei sich, denn im Kloster Bakke lebte eine Schwester, die eine so tüchtige Heilkundige war, daß alle kranken Kinder, die sie in die Hand bekam, wieder gesund wurden, wenn es nicht in Gottes Ratschluß lag, sie sterben zu lassen.
Eines Tages, kurz nach dem Fest, kam Kristin mit dem Kleinen vom Kloster heim. Der Knecht und die Magd, die sie begleitet hatten, traten mit in die Stube hinein. Erlend war allein drinnen, er lag auf einer der Bänke. Als der Knecht hinausgegangen war und die Frauen ihre Umhänge abgelegt hatten
- Kristin saß mit dem Kind an der Feuerstätte, und die Magd wärmte ein Öl, das sie von der Nonne erhalten hatten fragte Erlend von der Bank aus, was Schwester Ragnhild über das Kind gesagt habe. Kristin gab kurze Antworten, während sie die Windeln löste, schließlich antwortete sie überhaupt nicht mehr.
„Steht es so schlecht mit dem Knaben, Kristin, daß du es nicht sagen willst?“ fragte er, und sein Ton klang ein wenig ungeduldig.
„Du hast schon früher danach gefragt, Erlend“, erwiderte seine Frau kühl, „und ich habe es dir oftmals erklärt. Aber wenn du dir so wenig aus dem Knaben machst, daß du dich nicht einmal von einem Tag zum anderen erinnern kannst!“
„Auch mir ist es widerfahren, Kristin“, sagte Erlend, er stand auf und ging zu ihr hin, „daß ich dir zwei- oder dreimal auf etwas antworten mußte, was du selbst mich gefragt hattest; denn du fandest es nicht der Mühe wert, dich meiner Antwort zu erinnern.“
„Das waren sicher nicht so große Dinge wie die Gesundheit der Kinder“, sagte sie wie zuvor.
„Nun, es waren auch keine Kleinigkeiten - jetzt in diesem Winter; mir lagen sie sehr am Herzen.“
„Das ist nicht wahr, Erlend. Es ist Jahr und Tag her, seit du mit mir über jene Dinge sprachst, die dir am meisten am Herzen lagen.“
„Geh hinaus, Signe“, sagte Erlend zu der Magd. Seine Stirn war rot geworden, er wandte sich seiner Frau zu. „Ich verstehe, worauf du anspielst. Darüber will ich aber nicht mit dir reden, solange deine Magd zuhört - selbst wenn du so gut mit ihr stehst, daß du es gar nicht beachtest, ob sie anwesend ist, wenn du mit deinem Mann einen Streit vom Zaun brichst und sagst, daß ich unwahr spreche.“
„Am wenigsten will man von jenen Leuten lernen, mit denen man zusammen lebt“, sagte Kristin kurz.
„Es ist nicht leicht, zu verstehen, was du meinst. Nie habe ich unsanft mit dir gesprochen, wenn Fremde es hören konnten, oder vergessen, dir vor unserem Gesinde Ehrfurcht zu erweisen.“
Kristin brach in ein seltsam krankes und bebendes Lachen aus.
„Du hast ein kurzes Gedächtnis, Erlend! In all diesen Jahren hat Ulv Haldorssohn bei uns gelebt. Erinnerst du dich, wie du es zuließest, daß er und Haftor mich zu dir in die Schlafkammer bei Brynhild in Oslo begleiteten?“
Erlend sank auf die Bank nieder - starrte seine Gattin mit halboffenem Munde an. Sie aber fuhr fort:
„Es hat sich nicht viel an Ungeziemlichkeit und Nichtachtung auf Husaby - oder an anderen Orten - ereignet, die du vor deinen Dienern zu verbergen dachtest, ob es nun dir selbst oder deinem Weibe zur Schande gereichte.“
Erlend saß wie zuvor und blickte sie entsetzt an.
„Entsinnst du dich des ersten Winters, den wir verheiratet 5 waren; ich erwartete Naakkve, und es stand so, daß es schwer genug für mich war, Gehorsam und Ehrfurcht in meinem Haus zu fordern - entsinnst du dich, wie du mich stütztest - entsinnst du dich, dein Pflegevater war mit fremden Frauen, Mägden und Knechten bei uns zu Gast, unsere eigenen Leute saßen mit uns am Tisch - entsinnst du dich, daß Munan mir jeden Fetzen herunterriß, hinter dem ich mich hätte verbergen können, und du saßest kleinlaut da und wagtest nicht, ihm den Mund zu stopfen.“
„Jesus! Hast du das fünfzehn Jahre mit dir herumgetragen!“
Dann schlug er die Augen zu ihr auf - sein Blick schien so seltsam
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