Kristin Lavranstochter 1
Erlend war schön, wie er so dastand, groß und schlank und dunkel und gut gekleidet. Trotzdem dachte Kristin in ihrem Herzen, daß er sich doch sehr verändert habe, auch er - seltsam, daß Gunnulv dies nicht sah, er war früher stets so scharfsichtig gewesen.
Gegen Ende des Sommers war Kristin einmal oben in der Kleiderkammer, und Frau Gunna von Raasvold stand bei ihr -diese war nach Husaby gekommen, um Kristin beizustehen, wenn sie nun wieder in die Wochen kommen sollte. Da hörten sie Naakkve und Björgulv auf dem Hofplatz unten singen, während die Knaben ihre Messer schliffen - eine rohe und liederliche Weise, die sie aus vollem Hals hinausschrien.
Die Mutter geriet außer sich vor Zorn, ging hinunter zu den beiden und redete mit ihnen in den härtesten Worten. Und dann wollte sie wissen, von wem sie solche Dinge gelernt hätten -wahrscheinlich in der Reisigenstube; wer aber von den Männern lehrte die Kinder solches? Die Knaben wollten nicht antworten. Da kam Skule unter der Treppe hervor; er sagte, die Mutter könne sich das Schelten sparen, denn die Weise hätten sie dadurch gelernt, daß der Vater sie immer gesungen habe.
Frau Gunna rief heftig, ob sie denn so wenig Gottesfurcht besäßen, daß sie solche Lieder sängen - jetzt, da sie an keinem Abend, den sie sich schlafen legten, wissen konnten, ob sie nicht, noch ehe die Hähne krähten, mutterlos sein würden. Kristin sagte nichts und ging still ins Haus. Später, als sie sich ein wenig auf ihr Bett gelegt hatte, kam Naakkve herein und ging zu ihr hin. Er ergriff die Hand der Mutter, sagte jedoch nichts, und dann fing er ganz leise zu weinen an. Da sprach sie ihm sanft und mit scherzenden Worten zu, bat ihn, nicht zu trauern und zu jammern, sie habe es nun sechsmal überstanden und würde es auch ein siebentes Mal überstehen. Aber der Knabe weinte immer mehr und mehr. Schließlich mußte sie ihm erlauben, sich zwischen sie und die Wand zu legen, wo er dann, die Arme um den Hals der Mutter geschlungen und den Kopf an ihre Brust gedrückt, weiterweinte, aber sie konnte ihn nicht dazu bringen, zu sagen, worüber er so traurig war, obwohl er bei ihr lag, bis die Dienerinnen das Nachtmahl hereintrugen.
Naakkve stand jetzt im zwölften Jahr, er war groß für sein Alter und wollte gern ein männliches und erwachsenes Wesen zur Schau tragen, aber er hatte ein weiches Gemüt, und die Mutter konnte manchmal beobachten, daß er sehr kindisch war. Er war alt genug gewesen, um das Unglück mit der Halbschwester erfassen zu können; die Mutter fragte sich, ob er wohl auch verstünde, wie sehr sich der Vater seitdem verändert hatte.
Erlend war stets so gewesen, daß er in der Erregung die ärgsten Dinge sagen konnte - aber er hatte früher, außer im Zorn, nie einem Menschen böse Worte gegeben. Und er war so schnell bereit gewesen, alles wiedergutzumachen, wenn er selbst wieder gut war. Jetzt konnte er kalten Angesichts harte und häßliche Dinge sagen. Früher hatte er arg geflucht und geschworen -hatte er in gewisser Beziehung diese böse Gewohnheit abgelegt, so war dies deshalb geschehen, weil er gesehen, wie es die Hausfrau schmerzte und Sira Eiliv, für den seine Achtung mit der Zeit sehr gewachsen war, kränkte. Nie aber war seine Rede unhöfisch oder liederlich gewesen, und er hatte es nie gemocht, wenn andere Männer solche Reden führten - in diesem Punkt war er viel zurückhaltender gewesen als mancher Mann, der ein reineres Leben geführt hatte. Wie schwer es auch Kristin kränkte, solche Dinge von ihren unmündigen Söhnen zu hören, besonders jetzt in ihrem Zustande, und zu erfahren, daß sie dies von ihrem Vater gelernt hatten, so gab es doch etwas anderes, was sie noch mehr kränkte und sie den bittersten Geschmack im Munde fühlen ließ: sie verstand, daß Erlend immer noch kindisch genug war, zu glauben, hart auf hart zu setzen, wenn er nun nach der Schande der Tochter unsaubere und sittenlose Worte und Redewendungen führte.
Frau Gunna hatte ihr erzählt, daß Margret einige Zeit vor der Olavsmesse einen toten Knaben geboren hatte. Auch wollte sie wissen, daß Margret sich bereits ziemlich getröstet habe -sie kam gut aus mit Gerlak, er war freundlich zu ihr. Erlend besuchte die Tochter, wenn er in der Stadt war, und Gerlak machte viel Wesens aus seinem Schwiegervater; aber Erlend war nicht sonderlich gewillt, den anderen als seinen Verwandten anzuerkennen. Daheim auf Husaby aber hatte Erlend den Namen seiner Tochter nicht mehr erwähnt,
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