Kristin Lavranstochter 1
wieder:
„Sei doch nicht so böse, mein Arne. Kannst du glauben, ich wollte mich dir undankbar erweisen für die schöne Gabe, die du für mich machst, oder ich könnte jemals vergessen, daß du hier daheim stets mein bester Freund gewesen bist?“
„Bin ich das gewesen?“ fragte er.
„Das weißt du sehr wohl“, sagte Kristin. „Und nie werde ich dich vergessen. Aber du sollst jetzt in die Welt hinaus - vielleicht kommst du zu Wohlstand und zu Ehren, ehe du es denkst mich wirst du wohl vergessen, lange bevor ich dich vergesse...“
„Niemals wirst du mich vergessen“, sagte Arne und lächelte. „Aber ich vergesse dich, ehe du mich vergissest - du bist doch ein Kind, Kristin.“
„Du bist auch nicht alt“, antwortete sie.
„Ich bin ebenso alt wie Simon Darre“, sagte er wieder. „Und wir tragen Helm und Schild so gut wie die Leute auf Dyfrin, aber meine Eltern haben kein Glück gehabt.“
Er hatte seine Hände am Gras abgewischt; jetzt umfaßte er Kristins Knöchel und lehnte seine Wange an ihren Fuß, der unter dem Rocksaum hervorsah. Sie wollte den Fuß zurückziehen, aber Arne sagte:
„Deine Mutter ist auf Laugarbru, und Lavrans ist vom Hofe weggeritten - und so, wie wir sitzen, kann uns von den Häusern aus niemand sehen. Dieses eine Mal kannst du mich wohl so reden lassen, wie es mir ums Herz ist.“
Kristin antwortete:
„Das haben wir doch die ganze Zeit gewußt, du wie ich, daß es unnütz wäre, wollten wir Liebe zueinander hegen.“
„Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?“ fragte Arne, und als sie nicht antwortete, tat er es und legte einen Arm um ihre Mitte. Mit der einen Hand zog er an ihren Zöpfen.
„Wie wirst du es mögen“, fragte er bald darauf, „wenn Simon so in deinem Schoße liegt und mit deinem Haar spielt?“ Kristin antwortete nicht. Es war, als lege sich plötzlich ein schweres Gewicht auf sie - Arnes Kopf auf ihren Knien und Arnes Worte es dünkte sie, als öffne sich gleichsam eine Tür zu einem Raum, zu vielen dunklen Wegen, die in noch mehr Dunkelheit führten; unfroh und herzbeklommen zögerte sie und wollte nicht hineinsehen.
„So etwas tun doch Eheleute nicht“, sagte sie auf einmal rasch und gleichsam erleichtert. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Simons dickes rundes Gesicht zu dem ihren aufblickte, mit Augen wie Arnes Augen jetzt, sie hörte seine Stimme - und sie konnte nicht umhin zu lachen.
„Simon wird sich wohl niemals auf den Rücken legen, um mit meinen Schuhen zu spielen!“
„Nein, denn er kann mit dir in seinem Bett spielen“, sagte Arne. Seine Stimme machte sie plötzlich krank und kraftlos. Sie versuchte seinen Kopf von ihren Knien wegzuschieben, da bohrte er ihn hart in ihren Schoß und sagte leise:
„Aber ich würde mit deinen Schuhen und deinem Haar und deinen Fingern spielen und den ganzen Tag lang überall bei dir sein, Kristin, auch wenn du meine Frau wärst und jede Nacht auf meinem Arm schliefest.“
Er setzte sich halb auf, umfaßte ihre Schultern und blickte ihr in die Augen.
„Es ist nicht recht von dir, daß du so zu mir redest“, sagte Kristin leise und scheu.
„Nein“, erwiderte Arne. Er erhob sich. „Aber sage mir eines
- wolltest du nicht lieber, daß ich es wäre?“
„Ach, ich wollte am liebsten...", sie stockte ein wenig. „Ich wollte am liebsten überhaupt keinen Mann haben - noch nicht.“
Arne rührte sich nicht, aber er sagte:
„Wolltest du lieber ins Kloster gehen, so wie es für Ulvhild bestimmt ist, und zeit deines Lebens Jungfrau bleiben?“
Kristin drückte die gefalteten Hände in ihren Schoß. Es bebte wunderlich und süß in ihr - und mit einem plötzlichen Erschauern glaubte sie auf einmal zu begreifen, wie schade es um die kleine Schwester war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen vor Kummer über Ulvhild.
„Kristin“, sagte Arne leise.
In diesem Augenblick schrie Ulvhild laut auf. Ihre Krücke war zwischen die Steine des Walles geraten, und sie war gefallen. Arne und Kristin liefen zu ihr hin, Arne hob sie auf und legte sie in die Arme der Schwester. Sie hatte sich an den Lippen aufgeschlagen und blutete stark.
Kristin setzte sich mit ihr in die Tür der Schmiede, und Arne holte in einer Holzschüssel Wasser. Zu zweit begannen sie Ulvhilds Gesicht zu waschen. Sie hatte sich auch die Haut an den Knien abgeschürft. Kristin beugte sich zärtlich über die schmächtigen dünnen Beine.
Ulvhilds Klagen verstummten bald, und sie weinte leise und weh, wie Kinder zu tun
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