Kristin Lavranstochter 1
pflegen, die gewohnt sind, Schmerzen zu erleiden. Kristin drückte ihren Kopf an die Brust und wiegte sie leise bin und her.
Da begann die Glocke oben in der Olavskirche zur Vesper zu läuten.
Arne redete auf Kristin ein, aber sie saß da, als ob sie weder höre noch sähe, saß nur über die Schwester gebeugt, so daß er ängstlich wurde und fragte, ob sie glaube, daß es gefährlich sei. Kristin schüttelte den Kopf und sah ihn nicht an.
Bald darauf stand sie auf und trug Ulvhild zum Hof. Arne folgte ihr, still und verwirrt - Kristin sah so versonnen aus, daß ihr Gesicht ganz starr war. Während sie dahinschritt, läutete die Glocke immer noch über die Wiesen und das Tal hin; das Läuten hielt noch an, als Kristin ins Haus trat.
Sie legte Ulvhild in das Bett, das die Schwestern miteinander geteilt hatten, seitdem Kristin zu groß geworden war, mit den Eltern zu schlafen. Dann zog sie die Schuhe aus und legte sich zu der kleinen Schwester, lag da und lauschte dem Klang der Glocke, noch lange nachdem diese verstummt und das Kind eingeschlafen war.
Als die Glocke zu tönen angehoben hatte, während sie dasaß, Ulvhilds kleines blutiges Gesicht zwischen den Händen, war es über sie gekommen, daß dies vielleicht ein Zeichen für sie sei. Wenn sie an Stelle der Schwester gehen wollte - wenn sie sich dem Dienste Gottes und der Jungfrau Maria weihen würde vielleicht würde Gott dann dem Kinde seine Gesundheit und Beweglichkeit wiedergeben.
Sie entsann sich der Worte Bruder Edvins, daß in den jetzigen Zeiten nur die bresthaften und lahmen Kinder und die, die keine gute Heirat machen konnten, von den Eltern Gott geweiht wurden. Sie wußte, daß ihre Eltern fromme Leute waren, dennoch war nie von etwas anderem die Rede gewesen, als daß sie selbst verheiratet werden sollte, und als die Eltern begriffen, daß Ulvhild wohl zeit ihres Lebens krank sein würde, beschlossen sie gleich, sie ins Kloster zu geben.
Aber Kristin wollte nicht - sie widersetzte sich dem Gedanken, daß Gott ein Wunder an Ulvhild tun werde, wenn sie selbst Nonne werden würde. Sie hängte sich an Sira Eiriks Worte, daß nicht mehr so viele Wunder geschähen, obwohl sie an diesem Abend fühlte, daß es sich so verhielt, wie Bruder Edvin gesagt hatte: Besaß ein Mensch Glauben genug, so konnte er Wunder wirken. Aber sie wollte nicht den Glauben besitzen, sie liebte Christus und seine Mutter und die Heiligen nicht so sehr, wollte sie nicht einmal so lieben - sie liebte die Welt und sehnte sich nach der Welt.
Kristin preßte ihren Mund auf Ulvhilds weiches Seidenhaar. Das Kind schlief fest, und die ältere Schwester setzte sich unruhig auf, legte sich aber wieder zurück. Ihr Herz blutete vor Kummer und Scham, doch sie wußte, daß sie nicht an Wunder glauben wollte, weil sie ihr Erbteil an Gesundheit, Schönheit und Liebe nicht aufgeben mochte.
Dann versuchte sie sich mit dem Gedanken zu trösten, daß die Eltern ihr nicht erlauben würden, so etwas zu tun. Sie würden auch nicht glauben, daß es nützen könnte. Sie war ja schon verlobt, und sie würden Simon, den sie so gerne hatten, wohl nicht verlieren wollen. Sie fühlte sich betrogen, weil die anderen fanden, es sei solch eine Herrlichkeit mit diesem Schwiegersohn; sie dachte plötzlich mit Widerwillen an Simons rundes rotes Gesicht und die kleinen lachenden Augen, an seinen zappelnden Gang - er hüpfte wie ein Ball, fand sie plötzlich -, dachte an seine scherzhafte Redeweise, bei der sie sich bäurisch und dumm fühlte. Es war nicht gar so herrlich, ihn zu bekommen und dann noch dazu nach Formo hinunterzuziehen. Und doch wollte sie lieber ihn nehmen als dem Kloster geweiht werden. Und die Welt hinter den Bergen, der Königshof und die Grafen und Ritter, von denen Frau Aashild sprach, der schöne Mann mit den traurigen Augen, der ihr überallhin folgen sollte, der niemals müde werden würde, stets bei ihr zu sein. Sie erinnerte sich Arnes an jenem Sommertage, als er auf der Seite lag und schlief, das braune, glänzende Haar im Heidekraut ausgebreitet - sie hatte ihn damals so lieb, als sei er ihr Bruder. Es war nicht schön von ihm, so zu ihr zu reden, da er doch wußte, daß sie einander nie bekommen konnten.
Von Laugarbru kam ein Bote mit der Nachricht, die Mutter bleibe dort über Nacht. Kristin stand auf, um sich auszukleiden und sich schlafen zu legen. Sie begann ihr Kleid aufzuschnüren - dann aber zog sie die Schuhe wieder an, nahm den Umhang um und ging hinaus.
Der Nachthimmel
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