Kristin Lavranstochter 1
am Abend du aufbrichst!“ entgegnete sie.
„Jon meinte, ich solle heute nacht auf Loptshof schlafen. Ich dachte, es wäre leichter für dich, um diese Tageszeit hierherzukommen.“
Sie standen eine Weile schweigend da. Kristin war es, als hätte sie nie zuvor gesehen, wie schön Arne war. Er hatte eine glatte Stahlhaube auf und darunter einen braunen kveif, eine Kapuze aus Wolle, die das Gesicht dicht umschloß und über die Schultern hinabreichte, unter ihr sah sein schmales Gesicht so hell und hübsch aus. Sein lederner Panzer war alt, voller Rostflecke und Schrammen von dem Harnisch, der darüber getragen worden war - Arne hatte ihn von seinem Vater erhalten -, aber er schmiegte sich seinem schlanken, geschmeidigen und starken Körper gut an. Er trug ein Schwert an der Seite und den Speer in der Hand - die anderen Waffen hingen am Sattel. Er war nun ein erwachsener Mann und sah stattlich aus.
Sie legte die Hand auf seine Schulter und sagte:
„Erinnerst du dich, Arne, daß du mich einmal fragtest, ob mich dünkte, du seiest ein ebenso tüchtiger Mann wie Simon Andressohn? Nun will ich dir etwas sagen, ehe wir uns trennen, und zwar dies: daß du ihm an Schönheit und Gebaren ebenso überlegen bist, wie er an Geburt und Reichtum höher geschätzt wird von Leuten, die auf so etwas am meisten achten.“
„Warum sagst du mir das?“ fragte Arne atemlos.
„Weil Bruder Edvin es mir ans Herz gelegt hat, daß wir Gott für seine guten Gaben danken sollen und nicht wie die Frau sein sollen, die darüber weinte, daß sie keine Schüsseln hatte, als Sankt Olav ihre Vorräte vermehrte - du sollst dich also nicht darüber grämen, daß Gott dir nicht ebensoviel Reichtum wie Gaben verliehen hat.“
„War es das, was du meintest?“ sagte Arne. Und als sie schwieg, sagte er: „Ich möchte wissen, ob du meintest, daß du lieber mit mir verheiratet wärest als mit dem andern?“
„Das möchte ich wohl“, sagte sie leise. „Dich kenne ich besser...“
Arne schlang die Arme um Kristin, so daß er sie vom Boden aufhob. Er küßte ihr Gesicht viele Male, dann aber stellte er sie wieder hin.
„Gott steh uns bei, Kristin, was für ein Kind du bist!“
Sie stand da und ließ den Kopf hängen, aber ihre Hände ruhten auf seinen Schultern. Er faßte sie um ihre Handgelenke und drückte sie.
„Ich sehe es jetzt, du Liebe, du weißt nicht, wie wund ich in meinem Herzen bin, weil ich dich verlieren soll. Kristin, wir sind doch zusammen aufgewachsen wie zwei Äpfel an einem Zweig, ich hatte dich lieb, bevor ich begriff, daß eines Tages ein anderer kommen und dich von mir brechen würde. So wahr Gott für uns alle den Tod erlitten hat - ich glaube nicht, daß ich nach diesem Tage wieder froh werden kann.“
Kristin weinte bitterlich, und er hob ihr Gesicht, so daß er sie küssen konnte.
„Sprich nicht so, mein Arne“, bat sie und streichelte ihn. „Kristin“, sagte er leise und nahm sie wieder in die Arme. „Kannst du dir nicht vorstellen, daß du deinen Vater bitten würdest - Lavrans ist ein so guter Mann, er wird dich nicht gegen deinen Willen zwingen -, daß du ihn bitten würdest, einige Jahre warten zu dürfen. Niemand weiß, wie sich das Glück für mich wenden wird - wir sind beide noch so jung.“
„Ich muß wohl das tun, was sie daheim wollen“, sagte sie weinend.
Jetzt kamen auch Arne die Tränen.
„Du weißt wohl nicht, Kristin, wie lieb ich dich habe.“ Er barg das Gesicht an ihrer Schulter. „Wüßtest du es und hättest du mich lieb, so gingst du wohl zu Lavrans und bätest herzlich.“
„Ich kann nicht“, schluchzte das Mädchen, „so lieb könnte ich wohl nie einen Mann haben, daß ich um seinetwillen mich meinen Eltern widersetzte.“ Sie tastete mit den Händen nach seinem Gesicht unter dem kveif und der schweren stählernen Haube. „Weine nicht so, Arne, mein liebster Freund ...“
„Das hier sollst du nun haben“, sagte er nach einer Weile und gab ihr eine kleine, aus silbernen Fäden geflochtene Spange, „und denke manchmal an mich, denn ich vergesse dich und meinen Kummer niemals.“
Es war fast ganz dunkel, als Kristin und Arne einander zum letztenmal Lebewohl gesagt hatten. Als er schließlich wegritt, stand sie noch da und sah ihm nach. Es leuchtete gelb aus einem Riß zwischen den Wolken, und das Licht spiegelte sich in ihren Fußstapfen, dort, wo sie beide auf dem Wege im Schmutz gestanden hatten - es sah so kalt und traurig aus, dünkte sie. Sie zog ihr Brusttuch
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