Kristin Lavranstochter 1
heraus und trocknete ihr verweintes Gesicht, wandte sich um und ging heimwärts.
Sie war naß und fror und ging rasch. Nach einer Weile hörte sie jemand auf dem Weg hinter sich kommen. Sie fürchtete sich ein wenig. Es war doch denkbar, daß sich Fremde hier auf dem Weg herumtrieben, selbst an einem Abend wie diesem, und sie hatte ein Stück öden Weges vor sich; auf der einen Seite stieg schwarzes Geröll schroff an, und auf der andern Seite fiel der Hang steil ab, mit Föhrenwald bis ganz hinunter zu dem bleigrauen Fluß unten auf der Talsohle. Deshalb war sie froh, als der Mann hinter ihr sie beim Namen rief; sie blieb stehen und wartete.
Es war ein langer dünner Mensch in dunklem Gewand mit helleren Ärmeln - als er näher kam, sah sie, daß er priesterlich gekleidet war und einen leeren Ranzen auf dem Rücken trug. Nun erkannte sie Bentein Priesterssohn, wie man ihn nannte, Sira Eiriks Tochtersohn. Sie bemerkte sofort, daß er stark betrunken war.
„Ja, der eine geht und der andere kommt“, sagte er und lachte, als sie einander begrüßt hatten. „Ich begegnete gerade Arne von Brekken - ich sehe, du weinst. Nun könntest du wohl ein wenig lächeln, weil ich heimgekommen bin - auch wir sind doch von Kindesbeinen an Freunde gewesen, nicht wahr?“
„Es ist ein schlechter Tausch, dich an seiner Stelle heimzubekommen“, sagte Kristin schroff. Sie hatte Bentein nie gemocht. „Und so werden viele denken, fürchte ich. Dein Großvater war auch so froh, daß du da unten in Oslo so gut zurechtgekommen bist.“
„Ach ja“, sagte Bentein und kicherte wiehernd. „Ja, zurechtgekommen, meinst du? Wie das Schwein im Weizenacker hatte ich es, Kristin - und es nahm auch das gleiche Ende, ich wurde mit Hei und Ho hinausgejagt. Ja, ja, ja, ja. Er hat keine große Freude an seinem Nachkommen, mein Großvater. Du gehst aber schnell!“
„Ich friere“, sagte Kristin kurz.
„Und ich erst“, sagte der Priester. „Ich habe nicht mehr Kleider an, als du hier siehst - meinen Mantel mußte ich gegen Bier und Essen in Lillehammer verkaufen. Du aber solltest eigentlich Wärme im Leib haben, nachdem du von Arne Abschied genommen hast - ich dächte, du solltest mich mit dir unter deinem Pelz gehen lassen.“ Und er faßte in ihren Umhang, schlang ihn über seine Schulter und drückte seinen Arm um ihren Leib.
Kristin war so überwältigt von seiner Dreistigkeit, daß es einen Augenblick währte, bis sie ihr ganz bewußt wurde - da wollte sie sich losreißen, aber er hielt ihren Umhang fest, und der war mit einer starken Silberspange zusammengeheftet. Bentein legte wieder die Arme um sie, wollte sie küssen und kam mit seinem Mund nahe an ihr Kinn. Sie versuchte zu schlagen, aber er hielt ihre Oberarme fest.
„Ich glaube, du hast den Verstand verloren“, zischte sie, während sie sich wehrte. „Wagst du es, mich anzurühren, als wäre ich eine... Das sollst du morgen bitterlich bereuen, du Lump, der du bist.“
„Oh, morgen bist du nicht so dumm“, sagte Bentein, stellte ihr ein Bein, so daß sie halb in den Schmutz des Weges fiel, und preßte ihr eine Hand auf den Mund.
Obwohl sie nicht daran dachte zu schreien, begriff sie erst jetzt, was er zu wollen wagte, aber die Wut erfaßte sie so wild und gewaltsam, daß sie kaum Angst fühlte; sie knurrte wie ein Tier im Kampf und wehrte sich gegen den Mann, der sie zu Boden drückte, so daß das eiskalte Schneewasser ihr durch die Kleider bis an die brennendheiße Haut drang.
„Morgen bist du schon klug genug, zu schweigen , sagte Ben-
tein, „und wenn es sich nicht verbergen läßt, dann kannst du es auf Arne schieben, das wird man eher glauben.“
Er war mit einem Finger an ihren Mund geraten, da biß sie mit aller Gewalt zu, so daß Bentein aufschrie und losließ. Rasch wie der Blitz bekam Kristin die eine Hand frei und fuhr in sein Gesicht, drückte, so fest sie konnte, den Daumen auf seinen Augapfel; er brüllte und richtete sich auf die Knie auf. Wie eine Katze schlüpfte sie unter ihm weg, versetzte ihm einen Stoß, so daß er auf den Rücken fiel, dann lief sie davon, während der Schmutz bei jedem Sprung um sie aufspritzte.
Sie lief und lief, ohne sich umzusehen. Sie hörte Bentein nachkommen und sprang so, daß ihr das Herz im Halse klopfte, während sie leise vor sich hin jammerte und ausspähte - würde sie denn niemals nach Laugarbru kommen? Endlich war sie dort, wo der Weg über die Äcker führte, sie sah die Häuser unten am Hang beieinanderstehen
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