Kristin Lavranstochter 1
redete.
Sie war den ganzen Herbst über so unglücklich gewesen. Es half nichts, wie sehr sie sich auch vorsagte, daß Bentein ihr ja nichts hatte antun können; sie fühlte sich trotzdem zerstört. Nichts konnte mehr so sein, wie es früher gewesen war, seitdem ein Mann gewagt hatte, so etwas von ihr zu wollen. Nachts lag sie wach da, brennend vor Scham, und konnte es nicht unterlassen, an alles zu denken. Sie fühlte wieder Benteins Körper an dem ihren, wie damals, als sie mit ihm kämpfte, fühlte seinen heißen Bieratem - sie mußte daran denken, was hätte geschehen können -, und sie erinnerte sich, durch den ganzen Leib erschauernd, an das, was er gesagt hatte, wenn es sich nicht verbergen ließe, und daß man Arne die Schuld zuschieben würde. An ihren Blicken jagten Bilder vorbei von allem, was einem solchen Unglück nachgefolgt wäre: wenn die Leute dann von ihrer Begegnung mit Arne erfahren hätten, wenn ihr Vater und ihre Mutter so etwas von Arne geglaubt hätten, und Arne selbst! - Sie sah ihn, wie sie ihn an jenem letzten Abend gesehen hatte, und sie fühlte, wie sie vor ihm zusammenbrach, nur weil es hätte sein können, daß sie ihn in Kummer und Schande mit sich hinabgezogen hätte. Und dann träumte sie so häßlich. Sie hatte Worte wie Fleischeslust und Versuchung des Fleisches in der Kirche und aus der Heiligen Schrift gehört, aber sie hatten ihr nichts gesagt. Nun war es Wirklichkeit für sie geworden, daß sie selbst und alle Menschen einen sündigen fleischlichen Körper hatten, der die Seele einschnürte und mit harten Fesseln in sie einschnitt. - Dann dachte sie sich aus, wie sie Bentein getötet oder geblendet haben würde. Die einzige Erleichterung für sie war, in Racheträumen gegen diesen häßlichen dunklen Mann zu schwelgen, der ihren Gedanken immer im Wege stand. Aber es half nie lange; nachts lag sie neben Ulvhild und weinte heiße Tränen über all das, was ihr mit Gewalt angetan worden war. Bentein hatte es doch erreicht, die Jungfräulichkeit ihres Gemütes zu zerbrechen.
Am ersten Werktag nach der Weihnachtszeit waren alle Frauen auf Jörundhof im Küchenhaus beschäftigt; auch Ragnfrid und Kristin waren den größten Teil des Tages dort gewesen. Spät am Abend, als einige von den Frauen nach dem Backen aufräumten und andere das Nachtmahl bereiteten, kam die Stallmagd hereingestürzt, sie schrie und schlug die Hände zusammen.
„Jesus, Jesus! Hat man je solche Not vernommen - nun fahren sie Arne Gyrdssohn tot auf einem Schlitten heim. Gott stehe Gyrd und Inga in diesem Elend bei.“
Es kam ein Mann herein, der in einer Hütte weiter unten am Wege wohnte, und mit ihm Halvdan. Diese beiden waren dem Leichenzug begegnet.
Die Frauen sammelten sich um sie. Ganz außen im Kreis stand Kristin, bleich und bebend. Halvdan, Lavrans’ Reitknecht, der Arne gekannt hatte, seit dieser ein Knabe gewesen war, weinte laut, während er erzählte:
Es war Bentein Priesterssohn gewesen, der Arne getötet hatte. Am Neujahrsabend hatten die Leute des Bischofs in der Stube der Reisigen beieinandergesessen und getrunken, und da war Bentein gekommen; er war nun Schreiber beim Priester der Pfründe des Heiligen Leibes geworden. Die Leute wollten ihn zuerst nicht hereinlassen, da hatte er Arne daran erinnert, daß sie aus derselben Gemeinde waren. Arne ließ ihn neben sich sitzen, und sie hatten getrunken. Aber dann waren sie in Streit geraten, Arne war so stürmisch aufgefahren, daß Bentein ein Messer vom Tisch ergriffen und es Arne in die Kehle und mehrere Male in die Brust gerannt hatte. Arne war fast sofort tot.
Der Bischof hatte sich dieses Unglück sehr zu Herzen gehen lassen; er hatte selbst für die Leiche gesorgt und dafür, daß sie von seinen eigenen Leuten den langen Weg heimgefahren wurde. Bentein ließ er in Ketten legen, stieß ihn aus der Kirche aus, und wenn er nicht schon gehängt war, so sollte er es werden.
Halvdan mußte es mehrere Male erzählen, sooft neue Leute dazukamen. Auch Lavrans und Simon kamen ins Küchenhaus herüber, als sie die Unruhe und die Aufregung im Hof bemerkten. Lavrans war sehr erregt; er befahl, sie sollten sein Pferd satteln, denn er wollte sofort nach Brekken hinüberreiten. Als er gehen wollte, fiel sein Blick auf Kristins weißes Gesicht.
„Vielleicht willst du mit mir kommen?“ fragte er. Kristin zögerte ein wenig; sie schauderte zusammen, dann aber nickte sie, denn sie brachte kein Wort heraus.
„Ist es nicht zu kalt für sie?“ meinte
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