Kristin Lavranstochter 1
und erkannte im selben Augenblick, daß sie es nicht wagte, dort hinüberzulaufen, wo die Mutter war - so, wie sie aussah, beschmutzt von Lehm und welkem Laub vom Kopf bis zu den Füßen und mit zerrissenen Kleidern.
Sie merkte, daß Bentein ihr näher kam; da bückte sie sich und hob zwei große Steine auf. Als er nahe genug war, warf sie; der eine traf ihn so, daß er taumelte. Da lief sie wieder und hielt nicht eher inne, bis sie auf der Brücke stand. - Bebend stand sie da und hielt sich am Geländer fest; es wurde ihr dunkel vor den Augen, und sie glaubte, sie würde bewußtlos Umfallen - da aber dachte sie an Bentein, daran, daß er kommen könnte und sie finden. Zusammenschauernd vor Scham und Erbitterung ging sie weiter, aber ihre Beine vermochten sie kaum mehr zu tragen, und nun fühlte sie, daß ihr Gesicht von Nägelspuren brannte und daß sie sich Rücken und Arme wund geschlagen hatte. Da kamen ihr die Tränen, heiß wie Feuer.
Sie wünschte, Bentein möchte durch den Stein, den sie auf ihn geworfen hatte, getötet worden sein - wünschte, sie wäre zurückgegangen und hätte ein Ende mit ihm gemacht, sie griff nach ihrem Messer, merkte jedoch, daß sie es verloren hatte. -Dann dachte sie daran, daß sie sich daheim so nicht sehen lassen dürfe; es fiel ihr ein, nach Romundhof zu gehen. Sie wollte sich bei Sira Eirik beklagen.
Aber der Priester war noch nicht von Jörundhof zurückgekommen. Im Küchenhaus traf sie Gunhild, Benteins Mutter; die
Frau war allein, und da erzählte ihr Kristin, wie der Sohn mit ihr umgegangen war. Doch erwähnte sie nicht, daß sie weggewesen war, Arne zu treffen. Als sie merkte, daß Gunhild glaubte, sie sei auf Laugarbru gewesen, ließ sie sie dabei.
Gunhild sagte nicht viel, aber sie weinte, während sie Kristins Kleider wusch und die ärgsten Risse notdürftig flickte. Und die Junge war so aufgeregt, daß sie die Blicke nicht bemerkte, die Gunhild ihr heimlich zuwarf.
Als Kristin ging, nahm Gunhild ihren Umhang und begleitete sie hinaus, ging aber zum Stall hinüber. Kristin fragte, wo sie hinwolle.
„Ich werde wohl noch hinunterreiten und nach meinem Sohn sehen dürfen“, antwortete die Frau. „Ob du ihn mit deinem Stein totgeschlagen hast, oder wie es ihm geht.“
Es dünkte Kristin, daß sie hierauf nichts antworten könne, so sagte sie nur, Gunhild solle dafür sorgen, daß Bentein so schnell wie möglich wieder wegkomme und daß er ihr nicht mehr unter die Augen trete. „Sonst spreche ich mit Lavrans darüber, und dann kannst du dir wohl denken, wie es gehen wird.“ Bentein zog denn auch knapp eine Woche später südwärts; er hatte Briefe von Sira Eirik an den Bischof von Hamar bei sich, mit der Bitte, der Bischof möchte ihm eine Beschäftigung verschaffen oder ihm in anderer Weise beistehen.
7
Eines Tages nach Weihnachten kam Simon Andressohn ganz unerwartet nach Jörundhof geritten. Er entschuldigte sich, weil er so käme, ungebeten und allein, ohne Verwandte; Herr Andres sei im Auftrag des Königs in Schweden. Er selbst sei einige Zeit daheim auf Dyfrin gewesen, dort seien aber nur seine jungen Schwestern und seine Mutter, die zu Bett liege, so daß ihm die Zeit lang geworden sei und er Lust bekommen habe, hier heraufzusehen.
Ragnfrid und Lavrans dankten ihm vielmals, daß er diese lange Reise im härtesten Winter gemacht hatte. Je öfter sie Simon sahen, desto besser mochten sie ihn leiden. Er wußte in allem wohl Bescheid, was zwischen Andres und Lavrans besprochen worden war, und es wurde nun verabredet, daß sein und Kristins Verspruchsbier noch vor der Fastenzeit getrunken werden solle, wenn Herr Andres bis zu dieser Zeit heimkommen könne, andernfalls aber gleich nach Ostern.
Kristin war still und schüchtern, wenn sie mit ihrem zukünftigen Mann beisammen war; sie wußte wenig mit ihm zu sprechen. Eines Abends, als alle gegessen und miteinander getrunken hatten, bat Simon sie, mit ihm hinauszugehen und ein wenig frische Luft zu schöpfen. Da, als sie oben auf dem Altan vor der Oberstube standen, faßte er sie um den Leib und küßte sie. Später tat er das oft, wenn sie allein waren. Sie freute sich nicht darüber, aber sie ließ es geschehen, seitdem sie wußte, daß das Verspruchsfest nicht zu vermeiden war. Jetzt dachte sie an ihre' Hochzeit nur noch wie an etwas, was sein mußte, und nicht wie an etwas, was sie gern wollte. Obwohl sie Simon gut leiden konnte, besonders, wenn er mit anderen sprach und sie nicht anrührte oder mit ihr
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