Kristin Lavranstochter 1
Ragnfrid. „Morgen ist ja Nachtwache, und da gehen wir wohl alle hin ...“
Lavrans sah seine Frau an; er gewahrte auch Simons Gesicht, da trat er zu Kristin und faßte sie um die Schulter.
„Sie ist seine Ziehschwester, mußt du bedenken“, sagte er. „Vielleicht will sie Inga gerne helfen, die Leiche aufzubahren.“ Und obwohl Kristins Herz von Verzweiflung und Angst wie zusammengeschnürt war, wurde sie warm vor Dankbarkeit gegen ihren Vater für diese Worte.
Ragnfrid wollte nun, daß erst die Abendgrütze gegessen werde, wenn Kristin mit sollte. Sie wollte ihnen auch Geschenke für Inga mitgeben: ein neues Leinenlaken, Wachslichte und frischgebackenes Brot; Inga sollte sie sagen, daß sie selbst kommen und bei dem Leichenbegängnis helfen wolle.
Es wurde wenig gegessen, aber viel gesprochen in der Stube, während das Essen auf dem Tisch stand. Der eine erinnerte den anderen an die Prüfungen, die Gott Gyrd und Inga auferlegt hatte. Ihren Hof hatten Steinschläge und Überschwemmungen zerstört, und ihre älteren Kinder waren gestorben, so daß alle Geschwister Arnes noch klein waren. Nun hatten sie einige Jahre hindurch Glück gehabt, seit der Bischof den Gyrd auf Finsbrekken als Vertrauensmann eingesetzt hatte, und die Kinder, die sie hatten behalten dürfen, waren hübsch und vielversprechend geworden. Allein, die Mutter liebte Arne viel mehr als alle die anderen.
Die Leute bedauerten auch Sira Eirik. Der Priester war geachtet und beliebt, und die Leute in der Gemeinde waren stolz auf ihn; er war wohlgelehrt und tüchtig und hatte in all den Jahren, die er bei der Kirche gewesen war, nicht einen Feiertag oder eine Messe oder einen der kirchlichen Dienste, zu denen er verpflichtet war, versäumt. In seiner Jugend war er Kriegsmann unter Graf Alv av Tornberg gewesen, hatte aber das Mißgeschick gehabt, einen sehr hochgeborenen Mann zu töten, und hatte dann beim Bischof von Oslo Zuflucht gesucht; als dieser merkte, welche Begabung für Bücherweisheit er besaß, hatte er ihn in die Priesterschule aufgenommen. Und hätte er nicht noch stets wegen dieses alten Totschlags Feinde gehabt, würde Sira Eirik wohl nicht für ewig an dieser kleinen Kirche hängengeblieben sein. Allerdings war er sehr geldgierig, sowohl für seinen eigenen Beutel als für den seiner Kirche. Diese war jetzt aber auch sehr wohl ausgestattet mit Geräten und Gewändern und Büchern, und er selbst hatte drei Kinder - er hatte nie etwas anderes als Kummer und Mühe von seinen Nachkommen gehabt. In den Gemeinden auf dem Lande fanden die Leute es unvernünftig, daß die Priester wie Mönche leben sollten, da sie doch auf den Höfen Frauenhilfe nötig hatten und für ihre eigene Versorgung auch wohl eine Frau brauchen konnten, angesichts der weiten und schweren Reisen, die sie im Kirchspiel machen mußten, und dies bei jedem Wetter. Die Leute erinnerten sich auch, daß es noch gar nicht so lange her war, daß die Priester in Norwegen verheiratet waren. Deshalb hatte es niemand Sira Eirik groß zur Last gelegt, daß er drei Kinder von der Schaffnerin hatte, die in seinen jüngeren Jahren bei ihm gewesen war. Aber an diesem Abend sagten sie doch, es sähe so aus, als wolle Gott Eirik für dieses sein Buhlenleben strafen, da seine Kinder und Kindeskinder ihm so viel Böses zufügten. Und einige meinten, es sei wohl auch ein guter Sinn darin, daß ein Priester nicht Frau und Kinder haben dürfe - denn nun müsse wohl Feindschaft und Ärgernis zwischen dem Priester und den Leuten auf Finsbrekken entstehen; sie waren vorher die besten Freunde gewesen.
Simon Andressohn wußte viel von Benteins Leben und Treiben in Oslo und erzählte davon. Bentein war Schreiber beim Propst der Mariakirche geworden und galt für einen geschickten Burschen. Es gab auch viele Frauen, die ihn gut leiden konnten - er hatte jene gewissen Augen, und dann ging sein Mund ununterbrochen. Einige fanden, er sei ein schöner Mann -das waren meist solche Frauen, die sich von ihren Männern betrogen glaubten, und dann junge Mädchen, solche, die es gerne mochten, daß die Männer frei gegen sie waren. Simon lachte -ja, sie begriffen wohl? Na, Bentein war da sehr schlau, er trat dieser Art Frauen nicht zu nahe; mit denen hatte er es nur mit Worten. Um ihn entstand das Gerücht, daß er ein Reiner sei. Nun war es aber so, daß König Haakon selbst ein frommer und sittenstrenger Herr war, und er wollte seine Männer gerne zur Zucht und zu geziemendem Wandel anhalten, die jungen
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