Kristin Lavranstochter 1
erhoben
— es waren bereits viele Menschen versammelt —, trat Lavrans auf Inga zu. Sie starrte Kristin an und schien die Worte des Mannes kaum zu hören; stand da und hielt die Gaben, die er ihr gereicht hatte, als fühle sie nicht, daß sie etwas in der Hand halte.
„Bist du gekommen, du auch, Kristin“, sagte sie mit einer seltsamen, gezwungenen Stimme. „Du möchtest wohl gerne meinen Sohn sehen, meinen Sohn, wie er zu mir zurückgekommen ist?“
Sie stellte ein paar Lichte zur Seite, faßte Kristin mit der einen zitternden Hand am Arm und zog mit der anderen das Bahrtuch vom Antlitz des Toten.
Es war graugelb wie Lehm, und die Lippen waren bleifarben, sie standen ein wenig offen, so daß die regelmäßigen und schmalen beinweißen Zähne wie in einem spöttischen Lächeln zu sehen waren. Unter den langen Wimpern sah man ein wenig von den gebrochenen Augen, und auf den Wangen waren einige blauschwarze Flecken, mochten es nun Spuren von Hieben oder Leichenflecken sein.
„Vielleicht willst du ihn küssen?“ fragte Inga wie zuvor, und Kristin beugte sich gehorsam vor und drückte ihren Mund auf die Wange des Toten. Die war feucht wie von Tau, und sie glaubte den Leichengeruch wahrzunehmen; der Körper begann in der Hitze all der Kerzen allmählich aufzutauen.
Kristin blieb liegen, die Hände auf dem Sarg, denn sie vermochte nicht aufzustehen. Inga zog das Leichentuch mehr zur Seite, so daß der breite Messerstich über dem Schlüsselbein sichtbar wurde. Dann wandte sie sich zu den Leuten und sagte mit bebender Stimme:
„Es ist wohl eine Lüge, wie ich sehe, wenn man sagt, daß die Wunde des Toten blutet, wenn der ihn berührt, der seinen Tod verursacht hat. Er ist jetzt kälter, mein Sohn, und weniger schön als damals, da du ihn zuletzt hier drunten am Wege getroffen hast. Du küssest ihn jetzt nicht gerne, sehe ich - aber ich habe gehört, daß du seinen Mund einst nicht verschmäht hast.“
„Inga“, sagte Lavrans und trat vor, „bist du von Sinnen -redest du irre?“
„Ja, ihr seid so wackere, vornehme Leute, ihr dort auf Jörundhof - du warst allzu reich, du, Lavrans Björgulvssohn, als daß mein Sohn daran zu denken wagte, in Ehren um deine Tochter zu freien. Sie selbst fand wohl auch, daß sie zu gut dazu sei, die Kristin. Aber sie war nicht zu gut dazu, ihm des Nachts auf der Landstraße nachzulaufen und mit ihm im Gebüsch zu spielen, an dem Abend, an dem er wegritt - frag sie selbst, dann werden wir sehen, ob sie zu leugnen wagt, warum Arne hier tot liegt. - Sie mit ihrer Liederlichkeit hat das verschuldet,“
Lavrans fragte nicht; er wandte sich an Gyrd.
„Du mußt dein Weib zügeln - sie ist von Sinnen ...“
Aber Kristin hob ihr bleiches Antlitz und blickte verzweifelt um sich.
„Ich traf Arne an jenem letzten Abend, denn er hatte mich darum gebeten. Aber es geschah nichts zwischen uns, was unrecht gewesen wäre.“ Und es schien, daß sie sich sammelte und ganz begriff, sie rief laut: „Ich weiß nicht, was du meinst, Inga. Verleumdest du Arne, der hier liegt - nie hat er mich versuchen oder mich verlocken wollen ..
Aber Inga lachte laut auf:
„Nein, Arne, nein! Aber der Priester Bentein - er ließ dich nicht so mit sich spielen. Frag nur Gunhild, Lavrans, die den Schmutz vom Rücken deiner Tochter abgewaschen hat, und frage einen jeden, der am Neujahrsabend in der Leutestube des Bischofs war, als Bentein Arne verspottete, weil er sie hatte gehen lassen und weil er sich zu ihrem Narren gemacht hatte. Da nahm sie Bentein mit unter ihren Pelz und ging mit ihm heimwärts und wollte mit ihm das gleiche Spiel spielen ..
Lavrans packte sie bei der Schulter und legte ihr die Hand auf den Mund.
„Schaff sie hinaus, Gyrd. Schandbar ist es, daß du so an der Leiche dieses guten Burschen redest - aber wenn auch alle deine Kinder tot hier lägen, so will ich doch nicht dastehen und zuhören, wie du über das meine lügst - du, Gyrd, wirst verantworten, was dieses wahnsinnige Weib sagt.“
Gyrd nahm seine Frau und wollte sie wegführen, aber zu Lavrans sagte er:
„Es ist wahr, sie sprachen über Kristin, Arne und Bentein, als mein Sohn das Leben verlor. Es ist begreiflich, daß du nichts davon gehört hast, aber im Herbst ging das Gerede hier im Tal.“ Simon hieb sein Schwert in die zunächststehende Kleidertruhe.
„Nein, gute Leute, nun mögt ihr etwas anderes zu reden finden an dieser Bahre als über meine Braut. Priester, könnt Ihr denn nicht diese Leute im Zaume halten,
Weitere Kostenlose Bücher