Kristin Lavranstochter 1
wenigstens; über die anderen hatte er wohl kaum Gewalt. Und es zeigte sich, daß der Priester des Königsgefolges alle Streiche, die die jungen Gesellen im geheimen ausheckten und mitmachten - Zechgelage, Glücksspiel, Trinkereien und ähnliches -, erfuhr, und die tollen Köpfe mußten beichten und büßen und bekamen harte Zurechtweisung, ja zwei oder drei der wildesten Gesellen wurden weggejagt. Dann aber kam es schließlich heraus, daß es dieser Fuchs - Bentein secretarius - war, der heimlich in allen Wirtshäusern und noch schlimmeren Häusern aus und ein gegangen war; er nahm den Dirnen die Beichte ab und erteilte ihnen die Absolution.
Kristin saß an der Seite der Mutter; sie versuchte zu essen, damit niemand merken sollte, wie es um sie stand, aber ihre Hand zitterte; sie verschüttete bei jedem Löffel etwas von dem Brei, und die Zunge lag ihr so dick und schwer im Munde, daß sie die Brotbissen nicht hinunterschlucken konnte. Als aber Simon anfing, von Bentein zu sprechen, mußte sie aufhören, so zu tun, als ob sie äße; sie hielt sich mit den Händen an der Bank fest - Schrecken und Entsetzen packten sie so, daß ihr schwindlig und übel wurde. Er war es gewesen, der sie ... Bentein und Arne, Bentein und Arne... Krank vor Ungeduld, wartete sie darauf, daß sie mit dem Essen fertig wären. Sie sehnte sich danach, Arne zu sehen, Arnes schönes Antlitz, sehnte sich danach, hinzuknien und zu trauern und alles andere vergessen zu dürfen.
Als die Mutter ihr in die warmen Hüllen half, küßte sie die Tochter auf die Wange. Kristin war jetzt nur wenig an Liebkosungen von ihrer Mutter gewöhnt; das tat so gut - sie lehnte den Kopf einen Augenblick auf Ragnfrids Schulter, aber sie konnte nicht weinen.
Als sie auf den Hofplatz hinaustrat, sah sie, daß noch andere mitkommen wollten: Halvdan, Jon von Laugarbru und Simon und sein Knecht. Es verursachte ihr eine unerhörte Qual, daß die beiden Fremden mit dabeisein sollten.
Der Abend war beißend kalt, und der Schnee schrie unter den Füßen; die Sterne funkelten dicht wie Reif an dem schwarzen Himmel. Als sie ein Stück weit geritten waren, hörten sie Geschrei und Gejohle und rasendes Hufgetrappel aus südlicher Richtung - etwas weiter oben kam der ganze Haufen hinter ihnen hergerast und sprengte vorbei, daß es in den Metallteilen klirrte und der Dunst der dampfenden, bereiften Pferdeleiber ihnen entgegenschlug, als sie selbst in den Schnee hinausreiten mußten. Halvdan rief der wilden Schar etwas zu - es waren die jungen Leute von den Höfen südlich im Tal; sie feierten noch Weihnachten und waren draußen, um ihre Pferde zu erproben. Einige, die zu betrunken waren, um überhaupt von sich zu wissen, sprengten donnernd und brüllend weiter, während sie auf ihre Schilde hämmerten. Aber einige begriffen die Nachrichten, die Halvdan ihnen zurief; sie sonderten sich von der Schar ab, wurden still, schlossen sich Lavrans’ Gefolge an und flüsterten mit den Männern in der hintersten Reihe.
Sie ritten weiter, bis sie Finsbrekken auf dem Hügel jenseits des Silsbaches sahen. Es war hell zwischen den Häusern - mitten auf dem Hofplatz hatten die Leute Kienfackeln in einen Schneehaufen gesteckt, und der Feuerschein lag rot auf dem weißen Hang, während die dunklen Balkenhäuser aussahen, als seien sie mit frischem Blut bestrichen. Eine kleine Schwester Arnes stand draußen und stampfte mit den Füßen, die Arme hatte sie unter dem Umhang verschränkt. Kristin küßte das verweinte, verfrorene Kind. Ihr Herz war schwer wie Stein, und es war, als hätte sie Blei in den Gliedern, als sie die Treppe zum oberen Stockwerk hinaufstieg, wo sie ihn aufgebahrt hatten.
Gesang und der Glanz von vielen brennenden Kerzen trafen sie in der Türe. Mitten im Raum stand der Sarg, in dem er heimgebracht worden war, mit einem Laken bedeckt; man hatte Bohlen über Böcke gelegt und den Sarg daraufgestellt. Zu Häupten stand ein junger Priester mit einem Buch in den Händen und sang; ringsherum knieten die Leute, die Gesichter von den dicken Mänteln verhüllt.
Lavrans zündete sein Wachslicht an einer der brennenden Kerzen an, befestigte es auf dem Brett und kniete nieder. Kristin wollte das gleiche tun, brachte aber ihre Kerze nicht zum Stehen; da griff Simon zu und half ihr. Solange der Priester las, lagen alle auf den Knien und murmelten seine Worte nach; der Hauch stand ihnen um den Mund - es war eisig kalt hier oben.
Als der Priester das Buch schloß und die Leute sich
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