Kristin Lavranstochter 1
zu gehorchen und zu dienen, ehe du eingesetzt wirst, zu gebieten und anzuordnen. Nun will ich es dir ans Herz legen, daß du lernen mögest, Freude am Gebet und an den Gottesdiensten zu finden, auf daß es dir zur Gewohnheit werde, in all deinem Tun und Treiben deines Schöpfers, Gottes milder Mutter und aller Heiligen zu gedenken, die uns das beste Vorbild gewesen sind in Stärke, Rechtschaffenheit, Treue und allen Tugenden, die du zeigen mußt, wenn du ein Heim und Gesinde regieren und Kinder erziehen sollst. Ferner wirst du auch hier in diesem Hause lernen, daß einer wohl der Zeit achten soll, denn hier hat jede Stunde ihre Bestimmung und ihre Arbeit. Viele junge Mädchen und Frauen lieben es nur allzusehr, bis spät in den Morgen hinein im Bett zu liegen, aber des Abends lange am Tisch hängenzubleiben und unnötiges Geschwätz zu führen - allein, du siehst nicht aus, als wärest du so, doch du kannst nun viel lernen in diesem Jahr, das dir hier und in der anderen Heimat Wohlergehen verschaffen wird.“
Kristin verneigte sich und küßte ihr die Hand. Danach gebot ihr Frau Groa, einer ungeheuer dicken alten Nonne, die sie Schwester Potentia nannte, in das Refektorium der Nonnen zu folgen. Die Männer und Frau Gyrid lud sie ein, mit ihr in einer anderen Stube zu speisen.
Das Refektorium war ein schöner Raum, es hatte einen gepflasterten Boden und spitzbogige Fenster mit Glasscheiben darin. Eine Türöffnung führte in eine andere Stube, und Kristin konnte sehen, daß auch dort Fenster sein mußten, denn die Sonne schien hinein.
Die Schwestern saßen bereits am Tisch und warteten auf das Essen - die älteren Nonnen auf einer mit Polstern belegten Steinbank an der Fensterwand; die jüngeren Schwestern und die barhäuptigen Jungfrauen in ihren hellen Frieskleidern saßen auf einer Holzbank an der Außenseite des Tisches. Auch im Nebenraum war ein gedeckter Tisch, der war für die vornehmsten der Pfründnerleute und für die Laiendiener; unter ihnen waren einige alte Männer. Diese Menschen trugen keine Klostertracht, waren aber doch dunkel und ehrbar gekleidet.
Schwester Potentia wies Kristin ihren Platz auf der äußeren Bank an, trat dann selbst hinter den Tisch und stellte sich in der Nähe des Hochsitzes der Äbtissin am Tischende auf.
Alle erhoben sich, in diesem Raum und im Nebenraum, während die Schwestern das Tischgebet sprachen. Danach trat eine schöne junge Nonne vor und stieg auf eine kleine Lesekanzel, die in der Türöffnung zwischen den beiden Sälen aufgestellt war. Und während die Laienschwestern hier drinnen, zwei der jüngsten Nonnen aber in der anderen Stube Essen und Trinken auftrugen, las die Nonne mit lauter und schöner Stimme und ohne innezuhalten oder zu stammeln die Geschichte von Sankta Theodora und Sankt Didymus vor.
Zu Anfang dachte Kristin hauptsächlich daran, bei Tisch gute Sitten zu zeigen, denn sie sah, daß alle Schwestern und Mädchen sich so fein betrugen und so zierlich aßen, als säßen sie bei dem prächtigsten Gastgelage. Es herrschte Überfluß an den besten Speisen und Getränken, aber alle versorgten sich mit Maßen und griffen nur mit den äußersten Fingerspitzen in die Schüsseln; keine verschüttete von der Tunke, weder auf das Tuch noch auf die Kleider, und alle schnitten das Fleisch so klein, daß sie sich den Mund nicht beschmutzten, und aßen so vorsichtig, daß man keinen Laut hörte.
Kristin schwitzte vor Angst, sie könnte es nicht zuwege bringen, sich so höfisch wie die anderen zu benehmen; sie fühlte sich auch unbehaglich in ihrer bunten Tracht zwischen all den schwarzen und weißen Frauen - sie bildete sich ein, daß alle sie ansähen. Als sie nun ein Stück fetter Schafbrust essen wollte und es mit zwei Fingern am Knochen hielt, während sie mit der rechten Hand davon herunterschnitt und darauf achtete, das Messer leicht und schön zu handhaben, glitt ihr das Ganze aus der Hand; Brot und Fleisch sprangen auf das Tuch, aber das Messer fiel klirrend auf die Steinfliesen.
Man hörte es so überlaut in diesem stillen Raum. Kristin wurde rot wie Blut und wollte sich nach dem Messer bücken, aber eine Laienschwester kam auf Sandalen lautlos herbei und sammelte die Sachen zusammen. Allein, Kristin vermochte nicht mehr zu essen. Sie fühlte auch, daß sie sich in den Finger geschnitten hatte, und sie hatte Angst, das Tuch blutig zu machen. So saß sie da, die Hand in einen Zipfel ihres Kleides gewickelt, und dachte daran, daß sie nun das schöne
Weitere Kostenlose Bücher