Kristin Lavranstochter 1
nicht, daß es Kristin zum Schaden gereichen würde, neue Menschen zu sehen.“
Lavrans packte den Rest des Essens in den Ranzen und sagte, ohne den jungen Mann anzusehen: „Du hast Kristin lieb, dünkt mich.“
Simon lachte ein wenig und sah Lavrans nicht an.
„Du kannst mir glauben, ich habe sie gern - und dich auch“, sagte er rasch und kurz, stand auf und nahm seine Schneeschuhe. „Ich bin keiner begegnet, mit der ich lieber verheiratet sein möchte.“
Kurz vor Ostern, solange noch Schlittenbahn im Tal und über dem Mjös-See war, reiste Kristin zum zweitenmal nach Süden. Simon kam nach Jörundhof, um sie ins Kloster zu begleiten — so reiste sie nun mit Vater und Bräutigam und fuhr im Schlitten, eingehüllt in Pelze, und hinter ihnen folgten die Knechte und der Schlitten mit ihrer Kleidertruhe und mit Gaben, Lebensmitteln und Rauchwerk für die Äbtissin und die Schwestern in Nonneseter.
DER KRANZ
1
Aasmund Björgulvssohns Kirchenboot fuhr eines Sonntags früh gegen Ende April an der Spitze der Hauptinsel vorüber, während die Glocken in der Klosterkirche läuteten und es über die Bucht her mit Glockenklang aus der Stadt antwortete, stärker und schwächer, je nachdem, wie der Wind die Töne herübertrug.
Der Himmel war hoch und weißblau mit hellen geriffelten, darüber hingewehten Wölkchen, und die Sonne glitzerte unruhig auf dem krausen Wasser. Am Strand entlang war es ganz frühjahrlich, die Äcker waren fast schneefrei, und auf dem Gebüsch lagen blaue Schatten und gelblicher Glanz. Aber droben auf den Höhen, im Fichtenwald, der wie ein Rahmen rings um die Höfe von Aker lag, sah man noch Schnee, und auf den fernen blauen Bergen westlich, jenseits des Fjords, grinsten noch viele weiße Streifen.
Kristin stand vorn im Boot mit dem Vater und mit Gyrid, Aasmunds Weib. Sie blickte der Stadt mit allen den hellen Kirchen und Steinhäusern entgegen, die sich über dem Gewimmel von graubraunen Baumgärten und nackten Laubkronen erhoben. Der Wind spielte mit ihren Mantelzipfeln und zerrte ihr Haar unter der Haube hervor.
Auf Skog hatte man am Tag zuvor das Vieh auf die Weide gelassen, und da hatte sie sich wieder so nach Jörundhof heimgesehnt. Es dauerte noch lange, bis sie dort das Vieh hinauslassen konnten - weich und mitleidig sehnte sie sich nach den wintermageren Kühen in den dunklen Ställen; sie mußten noch lange warten und sich gedulden. Die Mutter, Ulvhild, die in allen diesen Jahren jede Nacht in ihren Armen geschlafen hatte, die kleine Ramborg - sie sehnte sich so sehr nach ihnen; nach allen Leuten daheim sehnte sie sich und nach den Pferden und den Hunden, nach Kortelin, den Ulvhild haben sollte, während sie fort war, und nach des Vaters Falken, die mit der Haube über dem Kopf auf ihren Stangen saßen, und an die Handschuhe aus Pferdeleder dachte sie, die man anzog, wenn man die Falken auf die Hand setzte, und an die elfenbeinernen Stäbe, mit denen man sie kraulte.
Es war, als sei all das Böse des letzten Winters so weit entfernt, und sie erinnerte sich ihrer Heimat nur so, wie sie vorher gewesen war. Sie hatten ihr auch gesagt, daß keiner in der Gemeinde so Schlimmes von ihr glaube. - Auch Sira Eirik glaubte es nicht; er war zornig und sorgenvoll über das, was Bentein getan hatte. Bentein war aus Hamar entkommen; es hieß, daß er nach Schweden geflohen sei. Es lag also nicht so viel Grauenhaftes zwischen ihnen und dem Nachbarhof, wie sie befürchtet hatte.
Auf der Reise waren sie in Simons Heim zu Gast gewesen, und sie war mit seiner Mutter und seinen Geschwistern bekannt geworden - Ritter Andres war noch in Schweden. - Es hatte ihr dort nicht gefallen, und ihr Widerwillen gegen die Leute auf Dyfrin war um so stärker, je weniger sie einen vernünftigen Grund dafür wußte. Auf dem ganzen Wege dorthin hatte sie sich selbst gesagt, daß die Leute dort keine Ursache hätten, hochmütig zu sein und sich für besser zu halten als Lavrans’ Geschlecht - niemand hatte etwas von Reidar Darre, dem Birkebeiner, gewußt, bevor ihm König Sverre die Witwe des Lehensmannes auf Dyfrin als Ehefrau verschafft hatte. Aber sie waren durchaus nicht hochmütig, und Simon erzählte selbst eines Abends von seinem Vorfahren: „Ich habe es nun für gewiß erfragt, daß er Kammacher gewesen sein soll - du kommst also in ein fast königliches Geschlecht, Kristin“, sagte er. „Hüte doch deine Zunge, mein Sohn“, sagte seine Mutter, aber sie lachten alle miteinander. Es tat ihr so
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