Kristin Lavranstochter 1
hellblaue Kleid, das sie zur Reise nach Oslo bekommen hatte, beflecke - und sie wagte nicht, die Augen von ihrem Schoß zu erheben.
Nach und nach begann sie aber doch mehr auf das zu hören, was die Nonne vorlas. Als der Fürst die Standhaftigkeit der Jungfrau Theodora nicht zum Wanken bringen konnte - sie wollte weder den Götzen opfern noch sich vermählen lassen befahl er, sie solle in ein Hurenhaus geführt werden. Er ermahnte sie noch auf dem Wege dorthin, sich ihres freigeborenen Geschlechtes und ihrer ehrenhaften Eltern zu erinnern, die nun ewiger Schande preisgegeben wären, und er gelobte, sie solle in Frieden leben und Jungfrau bleiben dürfen, wenn sie in den Dienst einer heidnischen Göttin träte, die sie Diana nannten.
Theodora antwortete furchtlos: „Keuschheit ist wie eine Lampe, aber Liebe zu Gott ist die Flamme; sollte ich dem Teufelsweibe, das ihr Diana nennt, dienen, so wäre meine Keuschheit nicht mehr wert als eine rostige Lampe ohne Flamme oder Öl. Du nennst mich freigeboren, aber wir alle sind als Sklaven geboren, seit sich unsere ersten Eltern dem Teufel verkauften; Christus hat mich losgekauft, und ich bin es ihm schuldig, ihm zu dienen, ich kann mich also nicht mit seinen Feinden vermählen. Er wird seine Taube verteidigen, aber wenn er es zulassen wird, daß ihr meinen Körper, der der Tempel seines heiligen Geistes ist, zerbrecht, so wird mir das nicht zur Schande angerechnet werden, solange ich nicht darein einwillige, sein Eigentum Feindeshänden zu überantworten.“
Kristin bekam Herzklopfen, denn dies erinnerte sie in gewisser Weise an ihre Begegnung mit Bentein - es traf sie der Gedanke, daß dies vielleicht ihre Sünde war: sie hatte nicht einen Augenblick an Gott gedacht oder um seine Hilfe gebetet. Und nun las Schwester Cecilia weiter von Sankt Didymus. Der war ein christlicher Ritter, bisher aber hatte er sein Christentum vor allen geheimgehalten, mit Ausnahme von ein paar Freunden. Nun ging er zu dem Haus, in dem die Maid war; er gab der Frau, die das Haus besaß, Geld, und er war der erste, der zu Theodora hineingehen durfte. Sie flüchtete wie ein erschrockener Hase in einen Winkel, aber Didymus begrüßte sie als seine Schwester und seines Herrn Braut und sagte, er sei gekommen, sie zu befreien. Dann sprach er eine Weile mit ihr und sagte: „Muß nicht der Bruder das Leben für seiner Schwester Ehre wagen?“ Und zum Schluß tat sie, wie er ihr gebot, tauschte die Kleider mit ihm und ließ sich in des Didymus’ Harnisch schnüren; er zog die Haube über ihre Augen, schlug den Mantel an ihrem Kinn hoch und bat sie, hinauszugehen, das Gesicht verbergend wie ein Jüngling, der sich schämt, an einem solchen Ort gewesen zu sein.
Kristin dachte an Arne und hatte die größte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie starrte mit nassen Augen vor sich hin, während die Nonne den Schluß las - wie Didymus zur Richtstätte geführt wurde und Theodora vom Gebirge herabeilte, sich dem Scharfrichter zu Füßen warf und darum bat, an seiner Stelle sterben zu dürfen. Nun stritten sich die beiden Frommen darum, wer zuerst die Krone gewinnen sollte; da wurden sie an einem Tag enthauptet. Das war am achtundzwanzigsten April im Jahre 304 nach Christi Geburt, in Antiochia, wie Sankt Ambrosius es niedergeschrieben hat.
Als sie sich vom Tisch erhoben, kam Schwester Potentia und klopfte Kristin freundlich auf die Wange. „Ja, du sehnst dich wohl nach deiner Mutter, denke ich.“ Da begannen Kristins Tränen zu rinnen. Aber die Nonne tat so, als sähe sie es nicht, und führte Kristin zu dem Raume, wo sie wohnen sollte.
Es war eine schöne Stube mit Glasfenstern und einem großen Kamin an der Schmalwand, in einem der Steinhäuser beim Kreuzgang. An der einen Längswand standen sechs Bettstellen und an der anderen die Truhen der Mädchen.
Kristin wünschte sich, mit einem der kleinen Mädchen schlafen zu dürfen, aber Schwester Potentia rief einem dicken blonden erwachsenen Mädchen: „Hier ist Ingebjörg Filippustochter, die deine Bettgenossin sein wird - macht euch nun miteinander bekannt.“ Damit ging sie.
Ingebjörg nahm Kristin gleich bei der Hand und fing zu reden an. Sie war nicht sehr groß und viel zu dick, besonders im Gesicht - ihre Augen waren ganz klein, so dicke Wangen hatte sie. Aber ihre Haut war zart, weiß und rot, und ihr Haar war gelb wie Gold und so kraus, daß die dicken Flechten sich krümmten und eindrehten wie Taue. Unter dem Stirnband drängten sich stets
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