Kristin Lavranstochter 1
die andere - sie sahen ja auch nichts von den wilden Tieren, aber
Ingebjörg war ganz von Sinnen. Und als nun die Menschenmasse in neue Bewegung kam und von der Brücke zurückgetrieben wurde, weil eine ganze Schar von Männern, die sich in den nächstliegenden Höfen bewaffnet hatten, wieder herauseilten, einige reitend und die anderen laufend, und Ingebjörg nahe daran war, unter ein Pferd zu geraten - stieß sie einen Schrei aus und eilte in großen Sprüngen in den Wald hinauf. Kristin hätte nie gedacht, daß die andere so laufen könne - sie mußte an ein gejagtes Schwein denken, sie lief nach, damit doch nicht auch sie beide noch getrennt werden sollten.
Sie waren tief drinnen im Wald, ehe Kristin Ingebjörg zum Stehen brachte - auf einem kleinen Pfad, der auf den Weg nach Traelaborg zu führen schien. Nun blieben sie eine Weile stehen, um wieder zu Atem zu kommen; Ingebjörg schluchzte und weinte und sagte, sie wage nicht allein durch die Stadt zurück und bis zum Kloster hinaus zu gehen.
Dies dünkte auch Kristin nicht geheuer zu sein, da es so unruhig in den Straßen war; so schlug sie denn vor, sie sollten versuchen, ein Haus zu finden, dort könnten sie vielleicht einen Jungen mieten, der sie nach Hause begleiten würde. Ingebjörg meinte, es müsse weiter unten am Strand ein Reitweg nach Traelaborg führen, und an dem entlang lägen einige Häuser, das wisse sie. So folgten sie dem Pfade weiter.
Unruhig wie sie beide waren, glaubten sie schon ein langes Stück gegangen zu sein, als sie endlich einen Hof inmitten von Äckern sahen. Auf dem Hofplatz fanden sie etliche Männer, die unter einigen Eschen an einem Tisch saßen und tranken; eine Frau ging hin und her und trug ihnen Kannen zu. Mürrisch und verwundert sah sie die beiden Mädchen in der Klostertracht an, und keiner der Männer schien Lust zu haben, sie zu begleiten, als Kristin ihren Wunsch vorbrachte. Schließlich aber standen doch zwei junge Burschen auf und sagten, sie wollten die Mädchen nach Nonneseter führen, wenn Kristin ihnen einen Örtug* bezahle.
Sie erkannte an ihrer Sprache, daß sie keine Norweger waren, aber sie fand, daß sie ganz ordentlich aussahen. Ihre Forderung dünkte sie unverschämt groß, aber Ingebjörg war furchtsam, und sie glaubte nicht, daß sie so spät am Tage noch allein heimgehen könnten, so sagte sie denn ja.
Sie waren noch kaum auf den Waldweg gelangt, als die
* Silbermünze; 1/3 Öre.
Männer ihnen näher rückten und zu sprechen anfingen. Kristin mochte das gar nicht, doch sie wollte keine Angst zeigen und antwortete ihnen deshalb ruhig, erzählte von den Panthern und fragte die Burschen, wo sie her seien; sie sah sich auch um und tat so, als erwarte sie jeden Augenblick die Männer zu sehen, die sie zu ihrer Begleitung dabeigehabt hatten - sie redete so, als wäre es eine ganze Schar gewesen. Die Männer sagten nun nach und nach immer weniger - auch verstand sie nicht viel von ihrer Sprache.
Nach einiger Zeit merkte sic, daß sie nicht auf dem Weg gingen, den sie mit Ingebjörg gekommen war, der Pfad führte in einer anderen Richtung, mehr nach Norden, und sie glaubte, sie seien schon viel zu weit gegangen. Tief drinnen in ihr glomm ein Entsetzen, das sie nicht auszudenken wagte - es gab ihr besondere Stärke, daß sie Ingebjörg dabeihatte, die so töricht war, daß Kristin wußte, sie müsse für beide zurechtkommen. Unter dem Umhang zog sie verstohlen das Reliquienkreuz heraus, das sie von ihrem Vater bekommen hatte, umschloß es fest mit der Hand, betete in ihrem Herzen innig darum, daß sie bald jemand begegnen möchten, und versuchte im übrigen, ihren ganzen Mut zu sammeln und so zu tun, als ob nichts wäre.
Bald darauf sah sie, daß der Pfad auf einen Weg mündete, und hier war eine Lichtung. Die Stadt und die Meeresbucht lagen tief unten. Die Männer hatten sie irregeführt, mit Willen oder aus Unkenntnis - sie waren hoch oben auf den Anhöhen und weit nördlich von Gjeitabru, wie sie sehen konnte; der Weg, auf den sie jetzt getroffen waren, schien dorthin zu führen.
Da blieb sie stehen, zog ihren Beutel hervor und fing an, das Geld in ihre Hand aufzuzählen.
„Nun, gute Leute“, sagte sie, „brauchen wir eure Begleitung nicht mehr, hier kennen wir den Weg. Habt nun Dank für eure Mühe, und hier ist euer Lohn, um den wir einig geworden sind. Gott sei mit euch, gute Freunde.“
Die Männer nickten einander ein wenig zu, ganz einfältig, so daß Kristin fast ein Lächeln ankam. Da
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