Kristin Lavranstochter 1
Kind war.
„Wie heißt Euer Pferd, Herr?“ fragte sie, als es den Kopf von ihr wegwandte und an des Mannes Brust schnupperte.
„Bajard“, sagte er und sah sie über den Hals des Pferdes hinweg an. „Ihr fragt nach meines Pferdes Namen, aber nicht nach dem meinen?“
„Ich will gerne Euren Namen wissen“, antwortete sie und verbeugte sich ein wenig.
„Erlend Nikulaussohn heiße ich“, sagte er.
„So mögt Ihr bedankt sein, Erlend Nikulaussohn, für Eure guten Dienste heute abend.“ Kristin reichte ihm die Hand.
Plötzlich wurde ihr Gesicht von Röte übergossen; sie zog ihre Hand halb aus der seinen.
„Frau Aashild Gautestochter in Dovre, ist sie Eure Verwandte?“ fragte sie.
Verwundert sah sie, daß auch er blutrot geworden war, er ließ schnell ihre Hand los und antwortete:
„Das ist meine Muhme. Es verhält sich so, daß ich Erlend Nikulaussohn von Husaby bin.“ Er sah sie so sonderbar an, daß sie noch verwirrter wurde, aber sie faßte sich und sagte:
„Ich sollte Euch mit besseren Worten danken, Erlend Nikulaussohn, aber ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll...“
Er verneigte sich vor ihr, und es dünkte sie nun, sie müsse Lebewohl sagen, obwohl sie gerne mehr mit ihm gesprochen hätte. In der Kirchentüre wandte sie sich um, und als sie sah, daß Erlend noch bei seinem Pferd stand, grüßte sie mit der Hand zu ihm hin.
Im Kloster herrschte große Aufregung und viel Lärm. Haakon hatte einen reitenden Boten heimgeschickt, er selbst ging in der Stadt umher und suchte die Mädchen, und man hatte Leute ausgesandt, um ihm dabei zu helfen. Die Nonnen hatten gehört, daß die wilden Tiere unten in der Stadt zwei Kinder getötet und aufgefressen hätten. Das war freilich Lüge, und der Panther - es war nur einer - war schon vor der Vesperzeit von einigen Dienstleuten des Königshofes gefangen worden.
Kristin stand mit gesenktem Kopf da und schwieg still, während die Äbtissin und "Schwester Potentia ihren Zorn über die Mädchen ausschütteten. Es war, als schliefe sie innerlich. Ingebjörg weinte und versuchte zu widersprechen - sie hatten ja mit Schwester Potentias Wissen, unter schicklicher Begleitung, Erlaubnis zum Ausgehen erhalten, und für das, was nachher geschehen war, konnten sie doch nichts.
Aber Frau Groa sagte, nun sollten sie bis zum Schlag der Mitternachtsglocke in der Kirche bleiben und versuchen, ihre Gedanken geistigen Dingen zuzuwenden und Gott zu danken, der ihr Leben und ihre Ehre bewahrt hatte. „Da hat euch nun Gott ganz klar die Wahrheit über die Welt bewiesen“, sagte sie, „wilde Tiere und Dienstleute des Teufels bedrohen seine Kinder auf Schritt und Tritt, und es gibt keine Rettung, es sei denn, ihr haltet mit Bitten und Gebeten an ihm fest.“
Sie gab jeder eine brennende Kerze in die Hand und befahl ihnen, mit Schwester Cecilia Baardstochter zu gehen, die oft die ganzen Nächte hindurch allein in der Kirche war und betete.
Kristin stellte ihre Kerze auf Sankt Lorentii Altar und kniete auf dem Betschemel nieder. Sie starrte unverwandt in die Flammen, während sie leise ihre Paternoster und Ave-Maria betete. Nach und nach war es, als umschlösse sie der Kerzenglanz, sperre alles aus, was außerhalb von ihr und dem Lichte war. Sie fühlte, wie sich ihr Herz öffnete, überströmend von Dank und Lob und Liebe zu Gott und seiner milden Mutter - sie kamen ihr so nahe. Sie hatte immer gewußt, daß sie auf sie herabblickten, aber heute in dieser Nacht fühlte sie, daß es so war. Sie sah die Welt wie in einem Gesicht: ein dunkler Raum, in den ein Sonnenstreifen fiel, die Stäubchen taumelten zwischen Dunkelheit und Licht aus und ein, und sie fühlte, daß sie nun endlich in den Sonnenstreifen gelangt war.
Es dünkte sic, daß sie gerne hier in dieser stillen, nächtlich dunklen Kirche länger und länger verweilen möchte - die wenigen kleinen Lichtflecke wie goldene Sterne in der Nacht, der süßliche alte Weihrauchduft und der warme Duft brennenden Wachses und sie, in ihrem eigenen Stern ruhend.
Es war, als sei ein Glück zu Ende, als Schwester Cecilia heranglitt und sie an der Schulter berührte. Die drei Frauen verneigten sich vor dem Altar und gingen durch die kleine Südpforte nach dem Klosterhof.
Ingebjörg war so schläfrig, daß sie sich niederlegte, ohne zu sprechen. Kristin war froh - sie wollte so gerne mit ihren guten Gedanken allein sein. Und es war ihr angenehm, daß sie das Hemd in der Nacht anbehalten mußten - Ingebjörg war so dick und
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