Kristin Lavranstochter 1
sich in Erlends Sattel heben, aber es zeigte sich, daß sie nicht darin sitzen konnte, sie glitt sofort wieder herab. Fragend sah er Kristin an, und sie sagte, sie sei gewohnt, im Männersattel zu reiten.
Er umfaßte ihre Knie und hob sie hinauf. Es durchfuhr sie süß und gut, daß er sie behutsam von sich abhielt, als fürchte er, ihr zu nahe zu kommen; die daheim hatten sich nie darum bekümmert, ob sie sie an sich drückten, wenn sie ihr aufs Pferd halfen. Sie fühlte sich so seltsam geehrt.
Der Ritter - wie Ingebjörg ihn nannte, obwohl er nur Silbersporen trug - bot nun dieser seine Hand, und die Knechte schwangen sich auf ihre Pferde. Nun wollte Ingebjörg, sie sollten auf jeden Fall nördlich um die Stadt herum an den Ryenbergen und den Marterstöcken vorbeireiten und nicht durch die Straßen. Dabei sprach sie davon, daß Herr Erlend und seine Knechte ja voll bewaffnet seien. Der Ritter antwortete ernsthaft, das Verbot, Waffen zu tragen, sei ja nicht so strenge - für solche, die reisen müßten, und nun sei alles Volk in der Stadt auf der Jagd nach wilden Tieren. Da sagte sie, sie habe Angst vor den Panthern. Kristin verstand sehr wohl, daß Ingebjörg den längsten und einsamsten Weg gehen wollte, um länger mit Erlend sprechen zu können.
„Dies ist das zweitemal, daß wir Euch heute abend aufhalten, Herr“, sagte sie, und Erlend antwortete ernsthaft:
„Das tut nichts, ich muß heute abend nicht weiter als bis nach Gerdarud - und es ist die ganze Nacht hindurch hell.“
Kristin konnte es so gut leiden, daß er weder scherzte noch sie zum besten hielt, sondern mit ihr sprach, als wäre sie seinesgleichen oder noch mehr als das. Sie dachte an Simon; sie hatte keine anderen jungen Männer höfischer Art getroffen. Dieser Mann hier war übrigens sicherlich älter als Simon.
Sie ritten in das Tal unter den Ryenbergen hinunter und am Bach entlang. Der Pfad war schmal, und die jungen Laubreiser wippten ihnen nasse, starkduftende Zweige entgegen - es war ein wenig dunkler hier unten, und die Luft war kühl und das Laub längs dem Bachbett taufeucht.
Sie ließen die Pferde langsam gehen, und die Hufe klangen dumpf auf dem feuchten, grasüberwucherten Pfad. Kristin wiegte sich im Sattel; hinter sich hörte sie Ingebjörgs Geplauder und die dunkle, ruhige Stimme des Fremden. Er sagte nicht viel und antwortete gleichsam zerstreut - es war, als sei ihm geradeso zumute wie ihr selbst, so dünkte sie; sie fühlte sich so merkwürdig schläfrig, aber sicher und zufrieden, jetzt, da alle Geschehnisse des Tages vorüber waren.
Es war wie ein Erwachen, als sie aus dem Walde herauskamen auf die Wiesen unterhalb der Marterstöcke. Die Sonne war untergegangen, und die Stadt und die Bucht lagen in einem klaren und bleichen Licht unter ihnen - bei den Höhenzügen von Aker war eine hellgelbe Verbrämung unter dem weißblauen Himmel. In der Stille des Abends wurden Laute von weit her getragen, als kämen sie aus der Tiefe der Abendkühle - irgendwo schrie ein Wagenrad auf einem Weg, auf den jenseits gelegenen Höfen bellten die Hunde einander an.
Aber im Wald hinter ihnen trillerten und sangen die Vögel aus voller Kehle, nun, da die Sonne untergegangen war.
In der Luft lag ein brandiger Geruch, und draußen auf einem Acker flammte es rot von einem Feuer; die große Flammenrose ließ die Klarheit der Nacht noch dunkler erscheinen.
Sie ritten zwischen den Zäunen der Klosteräcker, als der Fremde sie wieder ansprach. Er fragte, ob es ihr richtig scheine, wenn er mit zur Pforte folge und darum bitte, mit Frau Groa sprechen zu dürfen, so daß er ihr berichten könne, wie sich alles zugetragen habe. Aber Ingebjörg wollte, daß sie sich durch die Kirche einschleichen sollten; da konnten sie vielleicht ins Kloster gelangen, ohne daß ihre allzu lange Abwesenheit bemerkt wurde - vielleicht hatte Schwester Potentia sie über ihrem Besuch vergessen.
Es fiel Kristin nicht ein, sich darüber zu wundern, daß es auf dem Platz vor dem westlichen Kirchentor so still war. Dort herrschte sonst an den Abenden meist viel Leben und Bewegung durch die Leute aus der Nachbarschaft, die die Kirche der Nonnen besuchten; hier lagen auch mehrere Häuser, in denen die Laiendiener und die Pfründner wohnten. An dieser Stelle nahmen sie Abschied von Erlend. Kristin stand da und streichelte das Pferd; es war schwarz und hatte einen schönen Kopf mit sanften Augen - sie fand, es gleiche Morvin, den sie daheim immer geritten hatte, als sie ein
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