Kristin Lavranstochter 1
ihn, als fürchte sie, daß er ihr genommen werden könnte. Und als sie seinen Kopf so auf ihrem Arm sah, dünkte es sie, es sei, wie wenn man ein Kind im Schoße habe - seine Augen deckte sie mit der einen Hand zu und träufelte ihm kleine Küsse auf Mund und Wange.
Der Sonnenschein war von der Wiese verschwunden - die schwere Farbe über den Baumwipfeln hatte sich zu einem blauen Dunkel über dem ganzen Himmel verdichtet; in der Wolke waren kleine kupferrote Lichter wie Brandrauch. Bajard kam zu ihnen herunter, wieherte einmal laut und stand unbeweglich und starrte. Gleich darauf leuchtete der erste Blitz, und der Donner folgte hart, nicht weit entfernt.
Erlend erhob sich und nahm das Pferd beim Zügel. Am unteren Ende der Wiese stand ein alter Heuschuppen; dorthin gingen sie, und er schlang Bajards Zügel gleich innerhalb der Öffnung um einen Balken. Zuhinterst in dem Schuppen lag Heu, Erlend breitete seinen Umhang aus, und sie ließen sich dort nieder, die Hunde zu ihren Füßen.
Bald darauf hing der Regen wie ein Teppich vor der Öffnung. Es rauschte im Walde und peitschte auf die Wiese nieder - bald mußten sie sich wegen der Tropfen, die vom Dache rannen, tiefer hineinflüchten. Sooft es blitzte und donnerte, fragte Erlend:
„Fürchtest du dich, Kristin?“
„Ein wenig“, flüsterte sie zurück und drängte sich eng an ihn.
Sie wußten nicht, wie lange sie so gesessen hatten - das Gewitter war ziemlich rasch vorübergegangen -, es donnerte in weiter Ferne, aber die Sonne schien vor der Tür auf das nasse Gras, und die blinkenden Tropfen fielen immer seltener und seltener vom Dach. Der süße Heuduft in der Scheune wurde stärker.
„Nun muß ich gehen“, sagte Kristin.
Erlend antwortete:
„Das mußt du wohl.“ Er umfaßte ihren Fuß. „Du wirst naß, du mußt reiten, und ich werde gehen - zum Walde hinaus...“ Er blickte sie so seltsam an.
Kristin bebte - sie glaubte, das sei, weil ihr Herz so klopfte, sie fror und hatte feuchte Hände. Als er ihre bloße Haut über dem Knie küßte, versuchte sie kraftlos, ihn wegzuschieben. ErIend hob sein Gesicht einen Augenblick - sie mußte an einen Mann denken, der eines Tages im Kloster zu essen bekommen hatte, er hatte das Brot geküßt, das man ihm reichte. Sie sank mit offenen Armen ins Heu zurück und ließ Erlend tun, wie er wollte.
Starr saß sie aufrecht, als Erlend den Kopf von seinen Armen hob. Er richtete sich heftig auf die Ellbogen auf.
„Schau nicht so drein - Kristin !“
Seine Stimme schnitt mit einem neuen wilden Schmerz in Kristins Sinn - er war ja nicht froh, auch er war unglücklich!
„Kristin, Kristin! Glaubst du, ich habe dich zu mir in den Wald herausgelockt, weil ich dies von dir wollte und dich mit Gewalt nehmen wollte?“ fragte er nach einiger Zeit.
Sie fuhr ihm übers Haar und sah ihn nicht an.
„Gewalt war es wohl nicht - du hättest mich wohl gehen lassen, wie ich gekommen war, hätte ich dich gebeten“, sagte sie leise.
„Ich weiß nicht“, antwortete er und barg sein Gesicht in ihrem Schoß.
„Glaubst du, ich werde schlecht an dir handeln?“ fragte er heftig. „Kristin - ich schwöre dir bei meinem christlichen Glauben, möge Gott mich in meiner letzten Stunde verlassen, wenn ich dir nicht die Treue halte bis zu meiner Todesstunde.“
Sie konnte nichts sagen, sie strich ihm nur wieder und wieder über das Haar.
„Nun ist es wohl an der Zeit, daß ich heimgehe?“ fragte sie schließlich. Und es dünkte ihn, sie warte in Todesangst auf seine Antwort.
„Das ist es wohl“, antwortete er finster. Er erhob sich rasch, ging zum Pferd und machte sich an den Zügeln zu schaffen.
Da stand auch sie auf. Langsam, matt und zerschmettert begriff sie: sie wußte nicht, was sie erwartet hatte, was er tun würde - sie auf sein Pferd setzen und sie mit sich nehmen, so daß sie nicht mehr zu anderen Menschen zurückkehren mußte. Es war, als sei ihr ganzer Körper wund vor Staunen darüber, daß es dieses Arge war, von dem sie alle sangen. Und weil Erlend ihr dieses angetan hatte, glaubte sie, sie sei nun so sein Eigentum geworden, daß sie sich nicht mehr ausdenken konnte, wie sie außerhalb seines Machtbereiches leben sollte. Sie mußte jetzt von ihm Weggehen; allein, sie konnte nicht fassen, daß das geschehen sollte.
Durch den Wald hinunter ging er neben ihr und führte das Pferd, er hielt ihre Hand in der seinen, doch sie fanden kein Wort, das sie einander hätten sagen können. - Als sie so weit gekommen
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