Kristin Lavranstochter 1
annehmen würden. Er hatte geglaubt, er könnte schließlich zum Landvogt über den halben Orkdölagau ernannt werden, wie sein Vater es gewesen war.
„Aber nun weiß ich bald nicht mehr, was das für ein Ende nehmen wird“, sagte er. „Vielleicht sitze ich schließlich auf einem Berghof wie Björn Gunnarssohn und muß den Mist auf meinem Rücken hinaustragen wie die Knechte in früheren Zeiten, weil ich kein Pferd besitze.“
„Gott stehe dir bei“, sagte Kristin und lachte. „Da muß ich wohl zu dir kommen - ich glaube denn doch, daß ich mich besser auf Bauernwirtschaft verstehe als du.“
„Den Mistkorb hinausgetragen hast du wohl noch nicht“, sagte er und lachte auch.
„Nein, aber ich habe doch gesehen, wie sie den Dünger ausbreiten - und Korn gesät habe ich daheim fast jedes Jahr. Mein Vater pflegte selbst die nächstliegenden Äcker zu pflügen, und dann ließ er mich das erste Stück säen, denn ich sollte Glück bringen..." Die Erinnerung tat ihrem Herzen weh, darum sagte sie hastig: „Und eine Frau mußt du haben, um zu backen und das Dünnbier zu brauen und dein einziges Hemd zu waschen und um zu melken - du mußt ein oder zwei Kühe von dem nächsten reichen Bauern leihen ..."
„Oh, Gott sei Dank, daß ich dich wieder ein wenig lachen höre“, sagte Erlend und hob sie auf, daß sie wie ein Kind auf seinen Armen lag.
In den sechs folgenden Nächten, bevor Aasmund Björgulvssohn heimkam, war Erlend jeden Abend bei Kristin oben.
In der letzten Nacht schien er ebenso unglücklich zu sein wie sie; er wiederholte viele Male, daß sie keinen Tag länger als notwendig voneinander getrennt sein sollten. Zum Schluß sagte er ganz leise:
„Sollte es nun das Unglück wollen, daß ich nicht vor dem Winter hierher nach Oslo zurückkommen kann, und sollte es so gehen, daß du Freundeshilfe brauchst, so kannst du dich ruhig an Sira Jon hier in Gerdarud wenden, wir sind Freunde seit unseren Kinderjahren, und auch auf Munan Baardssohn kannst du sicher vertrauen.“
Kristin konnte nur nicken. Sie begriff, daß er von der gleichen Sache sprach, an die sie nun jeden Tag gedacht hatte, aber Erlend nannte es nicht weiter. So schwieg auch sie und wollte nicht zeigen, wie herzbeklommen ihr zumute war.
Die anderen Male war er von ihr weggegangen, wenn die Nacht vorrückte, aber an diesem Abend bat er innig darum, eine Weile bei ihr schlafen zu dürfen. Kristin war ängstlich, aber Erlend sagte:
„Du kannst dir doch wohl denken, wenn ich in deiner Kammer gefunden werde, dann weiß ich auch für mich einzutreten.“ Sie wollte ihn selbst so gerne noch bei sich behalten, und sie vermochte nicht, ihm etwas abzuschlagen.
Aber sie fürchtete, sie könnten zu lange schlafen. So saß sie die meiste Zeit der Nacht an das Kopfende des Bettes gelehnt, schlummerte manchmal ein wenig, wußte nicht immer, ob er sie soeben geliebkost oder ob sie es nur geträumt hatte. Ihre eine Hand lag auf seiner Brust, dort, wo sie sein Herz darunter klopfen fühlte, und das Gesicht hielt sie dem Fenster zugewandt, um nach dem Morgendämmern draußen sehen zu können.
Schließlich mußte sie ihn wecken. Sie warf sich einige Hüllen um und trat mit ihm auf den Altan hinaus - er kletterte über das Gebälk auf jener Seite des Hauses, die einem anderen Haus nahe zugewandt lag. Dann war er um die Ecke verschwunden. Kristin ging hinein und kroch ins Bett; nun gab sie sich völlig nach und weinte zum erstenmal, seit sie Erlends Eigentum geworden war.
5
In Nonneseter vergingen die Tage wie früher. Kristin lebte zwischen Schlafhaus und Kirche, Webzimmer, Bücherhalle und Refektorium. Die Nonnen und die Klosterleute heimsten die Ernte im Wurzgarten und von den Obstbäumen ein, die Kreuzmesse mit der Prozession im Herbst kam, dann war die Fastenzeit vor der Mikalsmesse. Kristin wunderte sich - niemand schien sie verändert zu finden. Aber sie war unter Fremden schon immer ziemlich still gewesen, und Ingebjörg Filippustochter, die bei Tag und Nacht ihre Kameradin war, sie konnte für sie beide reden.
So merkte niemand, daß sie mit allen ihren Gedanken von allem rings um sie ferne war. Erlends Buhlerin - sie sagte es sich innerlich, daß sie nun Erlends Buhlerin war. Es war jetzt, als hätte sie es geträumt: der Abend am Margretentag, die Stunde im Heuschuppen, die Nächte in ihrer Schlafstube auf Skog. Entweder hatte sie das geträumt, oder sie träumte nun das, was jetzt war. Aber eines Tages mußte sie erwachen; eines Tages würde
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