Kristin Lavranstochter 1
es aufkommen. Nicht einen Augenblick zweifelte Kristin daran, daß sie nunmehr mit Erlends Kind ging.
Aber was mit ihr geschehen würde, wenn dies an den Tag kam, konnte sie sich nicht recht denken. Ob sie in die dunkle Kammer gesteckt oder heimgeschickt werden würde. - In weiter Ferne sah sie blasse Bilder von Vater und Mutter. Dann schloß sie die Augen, schwindlig und krank, duckte sich vor dem Ungewitter, das sie erwartete, und versuchte sich hart zu machen, um das Arge zu ertragen, das, wie sie glaubte, damit enden müsse, daß sie für immer in Erlends Arme gespült würde - den einzigen Ort, wo sie noch ein Heim zu haben glaubte.
So lag in dieser Spannung ebensoviel Erwartung wie Entsetzen, ebensoviel Süße wie Qual. Sie war unglücklich, aber sie fühlte ihre Liebe zu Erlend wie eine Pflanze, die in sie eingesetzt war, und diese trieb neueren und reicheren Blumenflor jeden Tag, trotz allem Unglück. In der letzten Nacht, die er bei ihr geschlafen hatte, hatte sie wie eine zarte und flüchtige Süße empfunden, daß ihrer in seiner Umarmung eine Lust und ein Glück wartete, die sie bisher noch nicht gekannt hatte -nun bebte sie bei der Erinnerung daran; sie fühlte es wie heiße würzige Windstöße aus sonnenheißen Gärten. Strauchbalg -dieses Wort, das Inga ihr ins Gesicht geschleudert hatte, sie nahm es gleichsam entgegen und drückte es an sich. Strauchbalg, das war ein Kind, das heimlich im Wald und auf der Wiese empfangen worden war. Sie fühlte den Sonnenschein und den Geruch der Fichten über der Waldwiese. Jede neue fiebernde Unruhe, jeden hastigen Pulsschlag im Körper nahm sie als ein Anzeichen der Frucht, die sie daran erinnerte, daß sie nun neue Wege eingeschlagen hatte - und wenn es auch noch so schwer wäre, sie zu Ende zu gehen, so war sie doch sicher, daß sie schließlich zu Erlend führen mußten. - Sie saß zwischen Ingebjörg und Schwester Astrid und stickte an der großen Decke mit den Rittern und Vögeln unter den Laubranken. Währenddessen dachte sie sich aus, wie sie flüchten würde, wenn die Zeit käme, da es nicht mehr verborgen gehalten werden konnte. Sie ging die Landstraße entlang, gekleidet wie ein armes Weib; alles, was sie an Gold und Silber besaß, trug sie in einem Bündel in der Hand. Sie erkaufte sich ein Dach über dem Kopfe auf einem Hof irgendwo in einem abgelegenen Tal - sie ging als Dienende, trug das Eimerjoch auf dem Nacken, tat Stallarbeit, buk und wusch und wurde gescholten, weil sie nicht sagen wollte, wer der Vater des Kindes war. Dann kam Erlend und fand sie.
Manchmal dachte sie sich aus, er käme zu spät. Schneeweiß und schön lag sie in dem ärmlichen Bauernbett. Erlend bückte sich unter dem Türrahmen; er trug den weiten schwarzen Umhang, den er umzuhaben pflegte, als er in den Nächten auf Skog zu ihr kam. Die Bauernfrau führte ihn an ihr Lager, er sank nieder und ergriff ihre kalten Hände, seine Augen waren zu Tode betrübt - hier liegst du, meine einzige Freude. Gebeugt von Trauer, ging er hinaus, seinen zarten Sohn unter den Falten des Umhangs an die Brust gedrückt - nein, sie meinte nicht, daß es so kommen würde; sie wollte nicht sterben, und Erlend sollte keinen so großen Kummer erleiden. Aber sie war so niedergedrückt, da tat es gut, sich solches auszudenken. Dann stand es einen Augenblick vor ihr, durcheisend und klar
- das Kind, dies war nicht etwas, was sie sich ausdachte, das war das Unabwendbare; sie mußte eines Tages verantworten, was sie getan hatte, und das Herz wollte ihr vor Schrecken stillstehen.
Als aber einige Zeit vergangen war, begriff sie, es sei doch nicht so sicher, daß sie ein Kind erwarte. Sie verstand selbst nicht, daß sie sich nicht freute - es war, als hätte sie unter einer warmen Decke gelegen und geweint; nun sollte sie aufstehen und in die Kälte hinausgehen. Noch ein Monat verging, noch ein zweiter; sie wußte sich nun ihrer Sache sicher, diesem Unglück war sie entronnen - frierend und leer fühlte sie, daß sie jetzt unglücklicher war als früher; in ihrem Herzen wuchs eine leise Bitterkeit gegen Erlend. Advent nahte, und sie hatte nichts von ihm oder über ihn gehört; sie wußte nicht, wo er sich befand.
Und nun dünkte es sie, daß sie diese Angst und Ungewißheit nicht aushalten könne - es war, als sei ein Band zwischen ihnen zerschnitten; jetzt hatte sie ernstlich Angst, es könnte sich etwas ereignen, so daß sie ihn nie mehr sehen würde. Von allem, woran sie früher gebunden gewesen war,
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