Kristin Lavranstochter 1
hat.“
Sie blickte dem Mönch gerade in die Augen. Aber als sie seinen Blicken begegnete und merkte, wie das vertrocknete runzlige alte Gesicht sich veränderte, von Trauer und Entsetzen erfüllt wurde - da war es, als zerbräche etwas in ihr selbst, die Tränen stürzten hervor, sie wollte sich auf die Knie werfen. Aber Bruder Edvin hielt sie heftig zurück.
„Nein, nein, setz dich hierher neben mich auf die Truhe -ich kann dir die Beichte nicht abnehmen.“ Er rückte zur Seite und machte ihr Platz.
Sie weinte weiter; er strich ihr über die Hand und sagte leise: „Entsinnst du dich jenes Morgens, Kristin, da ich dich dort auf der Treppe in der Hamarskirche zum erstenmal sah? Als ich im Ausland war, hörte ich einmal eine Sage von einem Mönch, der nicht glauben konnte, daß Gott uns erbärmliche und sündige Menschen alle liebe. Da kam ein Engel und berührte seine Augen, und er sah einen Stein auf dem Grund des Meeres, und unter dem Stein lebte ein blindes, weißes, nacktes Tier, und er sah es so lange an, bis er es liebgewann, weil es so klein und armselig war. Als ich dich dort so klein und armselig in dem großen Steingebäude sitzen sah, da dachte ich, es sei begreiflich, daß Gott solche Wesen wie dich liebe, schön und rein warst du, und dennoch bedurftest du des Schutzes und der Hilfe. Ich glaubte zu sehen, wie die ganze Kirche, mit dir darinnen, in Gottes Hand ruhte.“
Kristin sagte leise:
„Wir haben uns mit den teuersten Schwüren aneinandergefesselt - und ich habe gehört, daß ein solches Treuegelöbnis uns vor Gott zusammengibt und uns heiligt, ganz als hätten uns unsere Eltern zusammengegeben.“
Aber der Mönch antwortete betrübt:
„Ich verstehe, Kristin, daß euch jemand von dem kanonischen Recht gesprochen hat, der es nicht ganz kennt. Du konntest dich diesem Manne nicht durch Schwüre verbinden, ohne gegen deine Eltern zu sündigen; diese hat Gott über dich ge-setzt, ehe du ihn trafst. Und ist es nicht ein Kummer und eine Schande auch für seine Verwandten, wenn sie erfahren, daß er die Tochter eines Mannes verführt hat, der sein Schild in allen seinen Jahren mit Ehren getragen hat - verlobt warst du auch. Ich verstehe, daß du meinst, nicht so sehr gesündigt zu haben -aber du wagst nicht, deinem Pfarrpriester dies zu beichten. Und wenn du meinst, daß du mit diesem Manne so gut wie verheiratet bist, warum setzest du dann nicht die Leinenhaube auf, sondern gehst immer noch mit offenem Haar unter den jungen Mädchen umher, mit denen du nicht mehr viel Gemeinschaft hast - denn du hast nun deine Gedanken wohl meist bei anderen Dingen als diese?“
„Ich weiß nicht, wo die ihre Gedanken haben“, sagte Kristin müde. „Wahr ist es, daß alle meine Gedanken bei dem Manne sind, nach dem ich mich sehne. Wäre es nicht des Vaters und der Mutter wegen, so würde ich gerne noch heute mein Haar aufbinden - ich würde mich nicht darum kümmern, eine Buhle geheißen zu werden, wenn ich nur die Seine geheißen würde.“ „Weißt du, ob dieser Mann im Sinn hat, so gegen dich zu handeln, daß du eines Tages in Ehren die Seine genannt werden kannst?“ fragte Bruder Edvin.
Da sprach Kristin von all dem, was zwischen Erlend Nikulaussohn und ihr gewesen war. Und während sie redete, schien sie sich überhaupt nicht zu erinnern, daß sie je an dem guten Ausgang des Ganzen gezweifelt hatte.
„Verstehst du nicht, Bruder Edvin“, sagte sie, „wir waren unser selbst nicht mehr mächtig. Gott steh mir bei, träfe ich ihn da draußen, wenn ich von dir weggehe, ich ginge mit ihm, so er mich darum bäte. - Du magst mir glauben, ich habe es jetzt gesehen, es gibt auch andere Menschen, die gesündigt haben, nicht nur uns allein. - Damals, als ich daheim war, konnte ich nicht verstehen, wie etwas eine solche Macht über den Sinn der Menschen bekommen könne, daß sie dadurch die Furcht vor der Sünde vergessen, nun habe ich doch so viel gesehen, daß ich glaube, wenn man die Sünden, die man aus Sehnsucht oder Zorn begeht, nicht wiedergutmachen kann, dann muß es im Himmel öde sein. - Man sagt ja von dir selber, du habest einmal einen Mann im Zorn geschlagen.“
„Das ist wahr“, sagte der Mönch. „Gottes Barmherzigkeit allein verdanke ich es, daß ich nicht Mörder heiße. Es ist viele Jahre her - ich war ein junger Mann, und es dünkte mich da-mals, ich könne das Unrecht nicht ertragen, das der Bischof uns armen Brüdern antun wollte. König Haakon, er war damals Herzog, hatte uns den
Weitere Kostenlose Bücher