Kristin Lavranstochter 1
davor, allein hintreten und Simon und ihrem Vater sagen zu müssen, was ihr am Herzen lag.
Und so wünschte sie fast, daß eine Strafe über sie kommen möge, und zwar bald. Denn jetzt hatte sie keinen anderen Gedanken mehr als Erlend; sie sehnte sich nach ihm bei Tage und träumte von ihm des Nachts; Reue konnte sie nicht empfinden, aber sie tröstete sich damit, daß der Tag wohl noch kommen würde, an dem sie teuer für alles würden büßen müssen, was sie sich unerlaubterweise genommen hatten. Und in den kurzen Abendstunden, die sie im Stall der armen Frauen mit Erlend zusammen sein konnte, gab sie sich so heftig in seine Arme, als hätte sie ihre Seele dafür geopfert, ihm zu gehören.
Aber die Zeit verging, und es sah so aus, als sollte Erlend wirklich das Glück haben, auf das er sich verließ. Kristin merkte nie, daß man ihr im Kloster mißtraute. Ja, Ingebjörg hatte es wohl herausgebracht, daß sie sich mit Erlend traf, aber
Kristin merkte, daß die andere nie dachte, es könnte dies mehr als ein kleines Vergnügen sein, das sie sich erlaubte. Daß eine verlobte Jungfrau aus gutem Geschlecht es wagen sollte, die Abmachung, die ihre Verwandten getroffen hatten, durchbrechen zu wollen, kam Ingebjörg überhaupt nicht in den Sinn. Und wieder durchjagte sie der Schrecken einen Augenblick lang - vielleicht war es ja auch etwas ganz Unerhörtes, worauf sie sich eingelassen hatte. Und da wünschte sie wieder, es möchte entdeckt werden, damit es ein Ende nähme.
Ostern kam. Kristin begriff nicht, wo dieser Winter geblieben war; jeder Tag, an dem sie Erlend nicht gesehen hatte, war lang gewesen, lang wie ein schlimmes Jahr, und die langen argen Tage hatten sich aneinandergereiht zu Wochen ohne Ende - nun aber war es Frühling und Ostern, und es dünkte sie kaum kurze Zeit verstrichen seit jenem Weihnachten. Sie bat Erlend, er solle sie während der Feiertage nicht aufsuchen - und er fügte sich ihr in allem, worum sie ihn bat, so schien es ihr. Es war ebensosehr ihre Schuld wie die seine, daß sie miteinander gegen das Fastengebot gesündigt hatten. Aber sie wollte, daß sie die Osterfeiertage halten sollten. Obwohl es schwer war, Erlend nicht sehen zu sollen. Vielleicht mußte er sehr bald abreisen - er hatte nichts davon gesagt. Aber sie wußte, daß der König jetzt auf den Tod krank lag, und sie dachte, daß dies vielleicht einige Veränderung in Erlends Stellung bringen konnte.
So standen die Dinge für sie, als sie an einem der ersten Tage nach Ostern den Bescheid erhielt, in die Sprechstube zu ihrem Verlobten hinunterzugehen.
Sofort, als er auf sie zukam und seine Hand ausstreckte, verstand sie, daß sich etwas ereignet hatte - sein Gesicht war nicht so, wie es zu sein pflegte; seine kleinen braunen Augen lachten nicht, sie taten nicht mit, wenn er lächelte. Und Kristin konnte es nicht ändern, daß sie sah, wie es ihn besser kleidete, wenn er nicht soviel lachte. Er sah gut aus in der Reisekleidung, die er trug: ein blaues enganliegendes und langes Überkleid, das die Männer kothardi nannten, und einen braunen Schulterkragen mit Kapuze, die er nun zurückgeschlagen hatte; sein hellbraunes Haar hatte sich in der feuchten Luft stark gelockt. - Sie saßen da und redeten eine Weile. Simon war in der Fastenzeit auf Formo gewesen und von dort fast täglich nach Jörundhof hinübergekommen. Es ging ihnen gut dort, Ulvhild fühlte sich so frisch, wie man es sich von ihr nur erwarten konnte; Ramborg war nun daheim, sie war schön und lebhaft.
„In diesen Tagen ist es nun zu Ende, das Jahr, das du hier in Nonneseter sein solltest“, sagte Simon. „Sie haben wohl schon angefangen, für unser Verspruchsfest herzurichten.“
Kristin sagte nichts, da fuhr Simon fort:
„Ich sagte zu Lavrans, daß ich hierher nach Oslo reiten und mit dir darüber sprechen wolle.“
Kristin blickte nieder und brachte leise hervor:
„Es ist so, Simon, daß ich gerne unter vier Augen mit dir über diese Sache reden würde.“
„Ich habe selbst gemerkt, daß wir dies müssen“, erwiderte Simon Andressohn. „Ich wollte dich just bitten, Frau Groa zu fragen, ob wir ein wenig in den Garten hinausgehen dürfen.“ Kristin erhob sich schnell; sie glitt lautlos aus dem Raum. Kurz darauf kam sie zurück, gefolgt von einer der Nonnen, die einen Schlüssel trug.
Es führte eine Tür von der Sprechstube hinaus in einen Wurzgarten, der hinter den westlichsten Häusern des Klosters lag. Die Nonne schloß auf. Und sie traten in
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