Kristin Lavranstochter 1
rostartigen roten Schimmer bekommen hatte, wie eben blondes Haar ergraut. Die Wangen waren trockener und länger geworden, und die Muskeln des Gesichtes führten wie Stränge zum Mund; die jugendliche helle Röte war gleichmäßig verwittert. Er war nicht gebeugt - trotzdem aber wölbten sich die Schulterblätter auf andere Art unter dem Umhang. Er schritt leicht und fest dahin, als er ihr mit ausgestreckter Hand entgegenging, und doch waren es nicht die alten weichen und raschen Bewegungen. - Das war sicherlich voriges Jahr auch schon alles so gewesen, nur hatte sie es nicht gesehen. Vielleicht war ein kleiner Zug hinzugekommen - ein Zug von Niedergeschlagenheit, der die Ursache dafür war, daß sie jetzt dies alles sah. Sie brach in Tränen aus.
Lavrans legte den Arm um ihre Schulter und stützte ihre Wange mit der Hand.
„Soso, sei nun ruhig, Kind“, sagte er sanft.
„Seid Ihr mir böse, Vater?“ fragte sie leise.
„Du wirst wohl verstehen können, daß ich das bin“, erwiderte er, fuhr aber fort, ihre Wange zu streicheln. „Aber du weißt ja auch, daß du keine Angst vor mir zu haben brauchst“, sagte er traurig. „Nein, nun müßt du dich beruhigen, Kristin, schämst du dich nicht, dich so zu betragen?“ Denn sie weinte so, daß sie sich auf die Bank setzen mußte. „Wir wollen nicht hier über diese Dinge reden, wo die Leute aus und ein gehen“, sagte er, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Willst du denn nicht nach deiner Mutter fragen - und nach deinen Schwestern?“
„Was sagt die Mutter dazu?“ fragte die Tochter.
„Ach, das kannst du dir wohl denken - aber wir wollen jetzt nicht davon sprechen“, sagte er wieder. „Im übrigen geht es ihr gut...“, und er begann allerhand von daheim, vom Hofe, zu erzählen, bis Kristin nach und nach ruhiger wurde.
Sie aber empfand nur, daß durch das Schweigen des Vaters über ihren Bruch des Gelöbnisses die Spannung immer ärger wurde. Er gab ihr Geld, das sie unter die Armen des Klosters austeilen sollte, und Gaben für die Laienschwestern. Er selbst beschenkte das Kloster und die Schwestern reichlich, und keiner in Nonneseter dachte etwas anderes, als daß Kristin nun zum Verspruchsfest und zu ihrer Hochzeit heimfahren würde. Die letzte Mahlzeit nahmen sie beide an Frau Groas Tisch im Zimmer der Äbtissin ein, und Frau Groa stellte Kristin das beste Zeugnis aus.
Aber all dieses nahm doch schließlich ein Ende. Sie hatte Schwestern und Freundinnen an der Klosterpforte zum letztenmal Lebewohl gesagt, Lavrans führte sie zu ihrem Pferd und hob sie in den Sattel. Es war so merkwürdig, mit dem Vater und mit den Dienstleuten von Jörundhof jetzt diesen Weg zur Brücke zu reiten, den sie sonst im Dunkeln entlanggeschlichen war; es war seltsam, so ehrenvoll und frei durch Oslos Straßen zu reiten. Sie dachte an ihren prächtigen Hochzeitszug, von dem Erlend so oft gesprochen hatte - das Herz wurde ihr schwer; alles wäre leichter erschienen, wenn er sie entführt hätte. Es war noch eine so lange Zeit, in der sie im geheimen eine andere sein mußte, als sie es offen vor allen Leuten sein konnte. Dann aber fiel ihr Blick auf das gealterte, ernste Gesicht des Vaters, und sie versuchte ErIend recht zu geben.
In der Herberge waren noch mehrere Reisende. Am Abend aßen sie alle miteinander in einer kleinen Stube mit offenem Feuer, in der nur zwei Betten standen; Lavrans und Kristin sollten dort schlafen, denn sie waren die vornehmsten Gäste der Herberge. Die anderen entfernten sich, als es auf die Nacht zuging, brachen nach und nach auf, um ihre Schlafplätze aufzusuchen, und wünschten freundlich gute Nacht. Kristin dachte daran, daß sie zu Brynhild Flugas Haus geschlichen war und sich von Erlend hatte umarmen lassen; krank vor Kummer und vor Furcht davor, daß sie nie mehr die Seine werden würde, dünkte es sie, sie gehöre nicht mehr hierher.
Der Vater saß auf der Bank und betrachtete sie.
„Nach Skog kommen wir dieses Mal nicht?“ fragte Kristin, um das Schweigen zu brechen.
„Nein“, antwortete Lavrans, „ich habe für einige Zeit genug an dem, was ich von deinem Oheim hören mußte, weil ich nicht Macht gegen dich gebrauchen will“, erklärte er, als sie ihn fragend ansah. „Ja, ich hätte dich gezwungen, dein Wort zu halten“, sagte er kurz darauf, „wäre es nicht Simons wegen gewesen, der sagte, er wolle keine widerwillige Hausfrau haben.“
„Ich habe Simon niemals mein Wort gegeben“, entgegnete Kristin rasch.
Weitere Kostenlose Bücher