Kristin Lavranstochter 2
notwendig wäre -eine Schlittenfahrt in dieser Eiseskälte sei keine Kleinigkeit. Wenn sie nach Formo heimkämen, würden sie vielleicht weiter sehen. Er versuchte Sigurd zuzulächeln, um den jungen Burschen, der ganz entsetzt und unglücklich aussah, aufzumuntern.
„Aber sobald wir heimgekommen sind, müßt ihr nach Kristin auf Jörundhof schicken, sie ist so tüchtig in der Heilkunst.“ Er fühlte, wie seine Zunge dick und steif war wie ein Stück Holz, als er dies sagte.
Küß mich, Kristin, meine Braut! Da würde sie glauben, er rede im Fieber. Ja, Kristin. Da würde sie staunen.
Erlend hatte es begriffen. Ramborg hatte es begriffen. Aber Kristin - sie saß da mit Kummer und Gram; so zornig und bitter sie nun auch gegen diesen Mann Erlend gesinnt war, hatte sie doch auch jetzt für niemand anderen Gedanken als für ihn. Du hast dir nie so viel aus mir gemacht, Kristin, meine Geliebte, daß du daran gedacht hättest, ob es mir schwerfallen würde, jener Frau ein Bruder zu sein, die mir einmal zum Weibe angelobt war . . .
Er hatte es ja selbst nicht gewußt, damals, als er sich vor der Klosterpforte in Oslo von ihr trennte - daß er auch weiterhin immer so an sie denken würde. Daß er schließlich finden würde, nichts, was ihm das Leben seither gebracht hätte, sei ein voller Ersatz für das, was er damals verloren hatte. Für jene Jungfrau, die mir in meiner Jugend anverlobt war.
Sie sollte es hören, ehe er starb. Einen Kuß sollte sie ihm geben...
Ich bin der, der dich liebte und der dich immer noch liebt.
Diese Worte hatte er einmal gehört, und er hatte sie nie vergessen können. Sie stammten aus dem Buch der Wunder der Jungfrau, es war eine Sage von einer Nonne, die mit einem Ritter aus dem Kloster entfloh. Maria die Jungfrau - sie rettete diese beiden zum Schluß und vergab ihnen trotz ihrer Sünden. Wenn es eine Sünde war, daß er dies der Schwester seiner Frau sagte, ehe er starb, so mochte Gottes Mutter ihm auch dafür Vergebung erwirken. - Er hatte sie nicht allzuoft mit einer Bitte geplagt...
Ich glaubte es damals selbst nicht, daß ich nie wieder recht froh oder glücklich werden könnte ...
„Nein, Simon, es wird allzu schwer für Sokka, wenn sie uns beide tragen muß - sie hat doch heute nacht schon so weit laufen müssen“, sagte er zu dem Knecht, der sich hinter ihm auf das Pferd gesetzt hatte, um ihn zu stützen. „Ich sehe wohl, daß du es bist, Sigurd, aber mich dünkt, du seiest ein anderer. . .“
Gegen Morgen langten sie bei der Pilgerherberge an, und die beiden Mönche, die die Wirtschaft dort führten, nahmen sich des Kranken an. Als er jedoch unter ihrer Pflege ein wenig frischer geworden war und das Fieber abgenommen hatte, ließ Simon Andressohn nicht eher nach, als bis man ihm einen Schlitten lieh, mit dem er weiterfahren konnte.
Die Wege waren gut, und sie wechselten unterwegs die Pferde, fuhren die ganze Nacht hindurch und langten am nächsten Morgen bei Tagesgrauen auf Formo an. Simon hatte dagelegen und unter all den Hüllen geschlafen, die man über ihn gebreitet hatte. Die Decken lagen mit schwerem Druck auf ihm - bisweilen hatte er ein Gefühl, als liege er zerschmettert unter riesigen Felsblöcken -, und er hatte heftige Kopfschmerzen. Bisweilen war er gleichsam wie abwesend. Dann begannen die Schmerzen wieder in ihm zu toben; es war, als gäre und gäre sein Körper, würde unfaßbar groß und sollte in Stücke gesprengt werden. Im Arm tobte und tobte es.
Er versuchte, selbst aus dem Schlitten auszusteigen und ins Haus zu gehen - den gesunden Arm über Jons Schulter gelegt, Sigurd ging hinterher, um ihn zu stützen. Simon fühlte, daß die Gesichter der Männer vor Müdigkeit ganz grau und verzerrt waren - zwei Nächte hintereinander hatten sie im Sattel gesessen. Er wollte ihnen etwas darüber sagen, aber die Zunge gehorchte ihm nicht. Über die Türschwelle stolperte er und fiel in die Stube - mit einem lauten Schmerzensgebrüll, da er seinen unförmig geschwollenen Arm angestoßen hatte. Der Schweiß rann ihm herunter, wenn er das Ächzen, das sich ihm entreißen wollte, unterdrückte, während man ihn auskleidete und zu Bett legte.
Nicht lange darauf sah er, daß Kristin Lavranstochter beim Ofen stand und mit einem Stößel etwas in einer Holzschüssel zerkleinerte. Der Laut ging ihm durch und durch. Sie schüttete aus einem kleinen Topf etwas in einen Becher und träufelte aus einer Glasflasche, die sie ihrem Schrein entnahm, ein paar Tropfen hinzu -
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