Kristin Lavranstochter 2
Aussatz gelitten.
„Vielleicht ist es am besten, du wartest dort draußen, Kristin, bis die Leute zum Gottesdienst hereingekommen sind. Ich will später mit dir sprechen - vorerst aber mußt du heimgehen.“
Kristin verneigte sich vor dem Bischof.
„Ich will lieber sofort heimgehen, würdiger Herr, wenn Ihr es gestattet.“
„Wie du willst, Kristin Lavranstochter. Gott schütze dich, Hausfrau - bist du unschuldig, so werden sie versuchen, deine Unschuld zu beweisen, Gott selbst und seine Märtyrer, die Kirchenheiligen Sankt Olav und Sankt Tomas, die für die Sache der Gerechtigkeit starben.“
Wiederum verneigte sich Kristin vor dem Bischof. Dann trat sie durch die Priestertüre auf den Friedhof hinaus.
Draußen stand ein kleiner Junge in einem neuen roten Kittel ganz allein, starr und aufrecht. Munan wandte der Mutter einen Augenblick sein bleiches Kindergesicht zu, seine Augen waren groß und blickten erschrocken.
Ihre Söhne - sie hatte bis jetzt nicht an sie gedacht. Wie in einem Aufblitzen sah sie ihre Knabenschar - so wie sie im letzten Jahr am Rande ihres Lebens gestanden hatten: zusammengedrängt, wie eine Pferdeschar im Gewitter, spähend, scheu - fern von ihr, während sie in der letzten Todesbrandung ihrer Liebe kämpfte. Was hatten sie begriffen, was hatten sie gedacht, was hatten sie gelitten, während sie in ihrer Leidenschaft befangen war? Was sollte jetzt aus ihnen werden?
Sie hielt Munans kleine rauhe Faust in ihrer Hand. Das Kind starrte gerade vor sich hin, aber es hielt sich aufrecht.
Hand in Hand mit ihrem Sohn schritt Kristin Lavranstochter durch den Friedhof auf den Kirchenhügel hinaus. Sie dachte an ihre Söhne, und sie dachte, sie müsse zusammenbrechen und zu Boden stürzen. Der Volkshaufen strömte unter dem Glockengeläute in den Türen der Kirche zusammen.
Sie hatte einmal eine Sage gehört von einem getöteten Manne, der nicht umfallen konnte, weil so viele Speere in ihm steckten. Sie konnte nicht zusammenbrechen, wie sie so dahinging, um all der Augen willen, die sie durchbohrten.
Mutter und Kind traten in die Stube im Oberstockwerk. Die Söhne standen um Björgulv geschart, der am Tisch saß. Naakkve ragte über die Brüder hinaus, eine Hand auf die Schulter des halbblinden Knaben gelegt. Kristin sah das schmale dunkle und blauäugige Gesicht ihres Erstgeborenen, den weichen dunklen Bartflaum um seinen roten Mund.
„Ihr wißt es?“ fragte sie ruhig und trat auf die Söhneschar zu.
„Ja.“ Naakkve antwortete für sie alle. „Gunhild war bei der Kirche.“
Kristin stand eine Weile da. Die Knaben hatten sich wieder dem ältesten Bruder zugewandt. Bis die Mutter sagte:
„Hat einer von euch etwas davon gewußt, daß im Tal solche Gerüchte gingen - über Ulv und mich?“
Da wandte Ivar Erlendssohn jäh sich ihr zu.
„Könnt Ihr Euch denken, Mutter, daß Ihr da nichts über unser Vorgehen gehört hättet? Ich wäre nicht still sitzen geblieben und hätte meine Mutter eine Hure schimpfen lassen -nein, selbst dann nicht, wenn ich gewußt hätte, daß sie es sei!“
Kristin sagte bekümmert:
„Nun möchte ich wissen meine Söhne, was ihr euch über all das gedacht habt, was sich hier im letzten Jahr zugetragen hat?“
Stumm standen die Burschen da. Da hob Björgulv den Kopf, blickte die Mutter mit seinen kranken Augen an.
„Jesus Christus, Mutter! Was sollten wir denken - dieses Jahr - und in all den Jahren vorher? Glaubt Ihr, es war für uns leicht, zu wissen, was wir denken sollten!“
Naakkve sagte:
„Ach ja, Mutter - ich hätte wohl mit Euch sprechen müssen, aber Euer Wesen war so, daß wir es nicht konnten. Und als Ihr unseren jüngsten Bruder so taufen ließet, als wolltet Ihr dadurch sagen, unser Vater sei ein toter Mann ...", er brach mit einer heftigen Bewegung ab.
Björgulv sprach wiederum:
„Ihr dachtet an nichts anderes, Vater und du, als an eueren Kampf. Ihr dachtet nicht daran, daß wir unterdessen zu Männern heranwuchsen. Nie gabt ihr darauf acht, wer zwischen euere Waffen geriet und bis aufs Blut verwundet wurde ...“
Er war aufgesprungen. Naakkve legte die Hand auf seine Schulter. Kristin sah, er hatte wahr gesprochen - die beiden waren erwachsene Männer.
Es war, als stünde sie nackt vor ihnen, sie selbst hatte sich schamlos vor ihren Kindern entblößt.
Das war es, was diese vor allem in ihrer Jugend gesehen hatten: daß ihre Eltern alte Leute geworden waren, daß die Jugendhitze sie kläglich kleidete, daß sie nicht mit Ehre
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