Kristin Lavranstochter 2
daß sie es dennoch auf eine Weise anerkannt hatte. Aber sie hatte mehr an die Plagen und die Schmerzen, an Angst und Kampf gedacht, obgleich sie immer und immer wieder erfuhr, aus der Entbehrung, jedesmal, wenn ein Kind ihren Armen entwuchs, aus der Wonne, jedesmal, wenn ein neues Kind an ihrer Brust lag: die Freude war unsagbar viel größer gewesen als die Mühe und der Schmerz. Sie hatte gemurrt, weil der Vater ihrer Kinder ein so unzuverlässiger Mann war, der dem Geschlecht, das nach ihm weiterleben sollte, nur wenige Gedanken schenkte. Sie vergaß stets, daß er nie anders gewesen war, auch nicht damals, als sie Gottes Gebot verletzte und ihre eigene Sippe mit Füßen trat, um ihn zu gewinnen.
Jetzt war er von ihrer Seite weggerissen worden. Und jetzt wartete sie darauf, sehen zu müssen, wie ihre Söhne starben, einer nach dem anderen. Vielleicht mußte sie schließlich als kinderlose Mutter allein weiterleben.
Es gab so viele Dinge, die sie wohl auch früher schon gesehen hatte, ohne jedoch viel darüber nachzudenken, damals, als sie die Welt wie durch den Nebel ihrer eigenen und Erlends Liebe sah. Sie hatte wohl gemerkt, daß Naakkve seine Erstgeburt in der Brüderschar ernst nahm und die Pflicht fühlte, dieser in allem voranzugehen. Sie hatte auch gesehen, daß er Munan sehr liebte. Es erschütterte sie jedoch wie etwas Unerwartetes, als sie seine heftige Trauer über den Tod des jüngsten Bruders sah.
Aber die anderen Söhne wurden wieder gesund, obgleich es lange Zeit währte. Am Ostersonntag konnte sie mit vier Söhnen zur Kirche gehen - Björgulv aber lag noch zu Bett, und Ivar war zu schwach, um das Haus zu verlassen. Lavrans war sehr in die Höhe geschossen in der Zeit, da er auf dem Krankenbett lag, und auch in anderer Beziehung schien es, als hätten die Ereignisse dieses letzten halben Jahres ihn ein weites Stück über sein Alter hinausgetragen.
Da dünkte es Kristin, daß sie jetzt eine alte Frau sei. Sie meinte, eine Frau sei noch jung, solange sie kleine Kinder habe, die des Nachts in ihrem Arm schliefen, tagsüber zu ihren Füßen spielten und ununterbrochen ihrer Fürsorge bedürften. Wenn die Kinder den Händen einer Mutter entwachsen sind, dann ist sie eine alte Frau.
Ihr neuer Schwager, Jammaelt Halvardssohn, sprach davon, daß die Erlendssöhne noch sehr jung seien und sie selbst noch nicht viel über vierzig Jahre alt sei, sie würde sicher selber bald zu der Meinung kommen, daß sie sich wieder verheiraten müsse, denn sie bedürfe eines Mannes, der sie in der Verwaltung des Hofes und in der Erziehung der jüngeren Söhne unterstütze. Er zählte mehrere gute Männer auf, die er als eine entsprechende Heirat für Kristin ansah - Kristin solle ihn und Ramborg zum Herbst auf Aelin besuchen, dann wolle er dafür Sorge tragen, daß sie mit diesen Männern zusammenkäme, und dann könnten sie des Näheren über diese Dinge sprechen.
Kristin lächelte bleich, ja - sie war nicht mehr als vierzig Jahre alt. Hätte sie von einer anderen Frau gehört, die schon in diesem Alter und mit einer Schar heranwachsender Kinder Witwe geworden war, so hätte sie das gleiche gesagt wie Jammaelt -wäre ebenfalls der Meinung gewesen, daß diese Frau wieder heiraten, bei einem neuen Mann Stütze suchen müsse, um so mehr, als sie ihm doch noch weitere Kinder schenken könne. Aber sie selbst wollte nicht...
Kurz nach den Osterfeiertagen war Jammaelt von Aelin nach Jörundhof gekommen, und dies war das zweitemal, daß Kristin den neuen Mann ihrer Schwester traf. Sie waren weder zum Verspruchsbier nach Dyfrin noch zur Hochzeit nach Aelin gekommen, sie und ihre Söhne. Diese beiden Feste waren kurz hintereinander gefeiert worden, in jenem Frühjahr, da sie ihr letztes Kind erwartete. Gleich nachdem Jammaelt von Erlend Nikulaussohn Tod gehört hatte, war er nach Sil geeilt; mit Rat und
Tat half er der Schwester und den Schwestersöhnen seiner Frau, ordnete, so gut er vermochte, alles, was nach Erlends Tod geschehen mußte, und übernahm die Anklage gegen die Mörder, da noch keiner von den Erlendssöhnen mündig war. Damals aber drang nichts von all dem, was rings um Kristin geschah, in ihr Bewußtsein. Selbst das Urteil über Gudmund Toressohn, dem Erlends Tod zur Last gelegt wurde, schien sie nur wenig zu berühren.
Diesmal sprach sie viel mehr mit dem Schwager und mochte ihn gut leiden. Jung war er nicht, er hatte dasselbe Alter wie Simon Darre - ein zuverlässiger und ruhiger Mann, groß und dick und
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