Kristin Lavranstochter 2
allen seinen Nachkommen am liebsten.
So kläglich dieser Schwager auch war, so brachte doch das Zusammensein mit ihm die ersten Anzeichen dafür, daß Kristins erstarrte Trauer ein wenig aufzutauen begann. Herr Munan redete früh und spät von Erlend; wenn er nicht über seine eigenen Prüfungen jammerte, sprach er nur von dem toten Vetter und prahlte mit Erlends Taten, am liebsten aber mit seiner draufgängerischen Jugend: mit Erlends wildem Übermut, gleich als er das erstemal in die Welt hinauskam, weg von daheim auf Husaby, wo Frau Magnhild lebte und sich über seinen Vater grämte und der Vater sich über seinen ältesten Sohn grämte, und weg von Hestnaes und dem frommen, ernsthaften Pflegevater, Herrn Baard. Man hätte meinen sollen, Herrn Munans Geschwätz wäre der traurigen Witwe Erlends ein seltsamer Trost. Aber der Ritter hatte seinen jungen Verwandten doch auf seine Art geliebt und stets gefunden, daß Erlend all die anderen Männer an Schönheit, Mut - ja auch an Verstand überrage, bloß, daß er keinen Wert darauf legte, ihn anzuwenden, sagte Munan eifrig. Und obwohl Kristin daran denken mußte, wie es Erlend wohl nicht zum besten gereicht habe, daß er, sechzehn Jahre alt, mit diesem Verwandten als Lehrmeister und Führer zum Gefolge des Königs kam, so mußte sie doch lächeln, traurig und voll Zärtlichkeit, wenn Munan Baardssohn so unermüdlich schwätzte, daß ihm der Speichel aus den Mundwinkeln floß und die Tränen aus den alten, rotgeränderten Augen rannen - er erzählte von Erlends strahlendfrohem Lebensmut in seinen blutjungen Jahren, ehe er in dieses Unglück mit Eline Ormstochter geriet und sich fürs Leben die Flügel versengte.
Jammaelt Halvardssohn, der in ein ernsthaftes Gespräch mit Gaute und Naakkve vertieft war, sah erstaunt zu seiner Schwägerin hinüber. Sie hatte sich mit diesem häßlichen Alten und mit Ulv Haldorssohn, der auf Jammaelt ein wenig unheimlich wirkte, auf die Bank gesetzt, und sie lächelte, während sie mit ihnen sprach und ihnen einschenkte - er hatte sie noch nie lächeln sehen, aber es kleidete sie schön, und ihr kleines leises Auflachen klang wie das eines ganz jungen Mädchens.
Jammaelt sprach davon, wie unmöglich es sei, sämtliche sechs Söhne hier daheim auf dem mütterlichen Hof zu behalten. Man dürfe nicht erwarten, daß irgendein reicher oder ebenbürtiger Mann Nikulaus seine Verwandte zur Frau geben würde, wenn die fünf Brüder bei ihm blieben und sich vielleicht auch noch nach ihrer Verheiratung von den Erträgen seines Hofes nährten. Und man sollte sich nun nach einer Frau für den jungen Mann umsehen - er war zwanzig Winter alt und schien von kräftiger Art zu sein. Darum wollte Jammaelt Ivar und Skule mit sich nehmen, wenn er jetzt wieder nach Süden fuhr, dort würde er schon eine Möglichkeit zum Vorwärtskommen für sie finden ... Nachdem Erlend Nikulaussohn so unglücklich ums Leben gekommen war, erinnerten sich auf einmal die Vornehmen des Landes, daß der Getötete einer ihrer Standesgenossen gewesen war, durch Geburt und Blut dazu ausersehen, den meisten von ihnen voranzugehen, als der gewinnende, in vieler Beziehung hochgesinnte, kühne und waffentüchtige Krieger, der er war -aber er hatte eben das Glück nicht auf seiner Seite gehabt. Man war mit äußerster Strenge gegen die Männer vorgegangen, die an dem Tod Erlends auf seinem eigenen Hof beteiligt gewesen waren. Und Jammaelt konnte erzählen, daß viele ihn nach Erlends Söhnen gefragt hatten. An Weihnachten war er mit den Männern von Sudrheim zusammengetroffen, und sie hatten damals davon gesprochen, daß diese jungen Burschen nahe Verwandte von ihnen seien; Herr Jon hatte gebeten, Grüße zu überbringen und zu sagen, daß er den Söhnen Erlend Nikulaussohn stets als Verwandter begegnen werde, wenn einer von ihnen zu ihm kommen wolle. Jon Haflorssohn sollte jetzt mit der Jungfrau Elin, Erling Vidkunssohns ältester Tochter, verheiratet werden, und die junge Braut hatte sich erkundigt, ob die Söhne ihrem Vater glichen: sie erinnerte sich noch gut daran, daß Erlend, als sie noch ein Kind war, einmal zu Besuch bei ihnen in Björgvin weilte und daß er ihr als der schönste aller Männer erschienen war. Ihr Bruder aber, Bjarne Erlingssohn, hatte gesagt, daß er alles, was er für die Söhne Erlend Nikulaussohns tun könne, mit herzlicher Freude tun würde.
Kristin saß da und betrachtete ihre Zwillingssöhne, während Jammaelt sprach. Sie gerieten immer mehr und mehr
Weitere Kostenlose Bücher