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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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einzuschlafen, als sie davon wach wurde, daß sie jemand oben auf dem Altan schleichen hörte. Dann tappte etwas die Treppe herunter - sie erkannte den Schritt des Blinden.
    Sie dachte, er müsse wohl nur hinaus, trotzdem stand sie auf und suchte ihre Kleider zusammen. Da hörte sie, daß die Tür oben aufgerissen wurde - es sprang einer die Treppe in zwei Sätzen herunter.
    Die Mutter lief in die Vorstube und zur Tür hinaus. Draußen lag der Nebel so dicht, daß man nur noch die Vorratshäuser drüben über dem Hofplatz erspähen konnte. Oben beim Zaun schlug Björgulv wie rasend um sich und versuchte, sich aus dem Griff des Bruders zu befreien.
    „Verlierst du etwas“, schrie der Blinde, „wenn du mich los wirst? Dann bist du von allen Eiden frei - brauchst nicht mehr für diese Welt zu sterben ...“
    Was Naakkve antwortete, konnte Kristin nicht hören. Auf bloßen Füßen lief sie in das taunasse Gras hinaus. Björgulv hatte sich jetzt losgerissen - plötzlich brach er, wie niedergefällt, über dem großen Stein zusammen, hieb mit geballten Fäusten auf ihn ein.
    Naakkve erblickte die Mutter, kam ihr rasch einige Schritte entgegen.
    „Geht hinein, Mutter, das mache ich am besten allein ab -Ihr müßt hineingehen, sage ich“, flüsterte er eindringlich, wandte sich dann um und beugte sich wieder über seinen Bruder.
    Die Mutter blieb in einiger Entfernung stehen. Die Wiese war wie von Feuchtigkeit durchtränkt, von allen Dächern sickerte es, und von allen Blättern rollten Tropfen herab - es hatte den ganzen Tag geregnet, jetzt aber hatten sich die Wolken wie ein dichter weißer Nebel niedergesenkt. Als die Söhne nach einer Weile zurückkamen - Naakkve hatte Björgulv unter den Arm gefaßt und führte ihn auf diese Weise wich Kristin lautlos bis hinter die Tür zur Vorstube zurück.
    Sie sah, daß Björgulv im Gesicht blutete, wahrscheinlich hatte er sich an dem Stein aufgeschlagen. Unwillkürlich zwängte Kristin ihre Hand in den Mund und biß sich ins Fleisch.
    Auf der Treppe versuchte Björgulv noch einmal, sich von Naakkve loszureißen - er fiel dabei gegen die Wand und schrie:
    „Ich verfluche, ich verfluche den Tag, da ich geboren wurde!“
    Als die Mutter hörte, daß Naakkve die Tür zum Schlafraum geschlossen hatte, schlich sie sich hinauf und blieb draußen auf dem Altan stehen. Lange vernahm sie Björgulvs Stimme von drinnen; er tobte und schrie, er fluchte - dann und wann verstand sie eines seiner wilden Worte. Dazwischen hörte sie, daß
    Naakkve ihm zusprach, aber seine Stimme klang nur wie ein gedämpftes Murmeln. Schließlich schluchzte Björgulv laut und herzzerbrechend.
    Die Mutter stand da und zitterte vor Kälte und vor Schmerz; sie hatte nur den Umhang übers Hemd geworfen. Lange stand sie so da, bis ihr offenes Haar von der feuchten Nachtluft ganz naß war. Endlich wurde es still im Dachraum.
    Als sie wieder in der Stube drunten anlangte, trat sie an das Bett, in dem Gaute und Lavrans schliefen. Die beiden hatten nichts gemerkt. Während Kristin die Tränen über die Wangen strömten, streckte sie ihre Hand in der Dunkelheit aus, befühlte die beiden warmen Gesichter und lauschte den gleichmäßigen, gesunden Atemzügen der Knaben. Es dünkte sie, als seien diese beiden nun alles, was sie von ihrem Reichtum zurückbehalten habe.
    Frierend vor Kälte kroch sie in ihr eigenes Bett. Einer der Hunde, der vor Gautes Bett gelegen hatte, kam durch die Stube getappt und sprang zu ihr hinauf, rollte sich unten auf ihren Füßen zusammen. Er pflegte es nachts stets so zu machen, und sie hatte nicht das Herz, ihn hinauszuweisen, obgleich er so schwer auf ihren Beinen lag, daß diese einschliefen. Aber das Tier, ein kohlschwarzer, struppiger alter Bärenhund, hatte Erlend gehört und war sein Lieblingshund gewesen. Heute nacht nun empfand Kristin es wohltuend, daß er bei ihr lag und ihr die eiskalten Füße wärmte.
    Naakkve bekam sie am nächsten Morgen erst um die Zeit des Morgenimbisses zu sehen. Da kam er herein und nahm seinen Platz im Hochsitz ein; dieser Platz gehörte seit dem Tod des Vaters ihm.
    Während der Mahlzeit sprach er kein Wort, und unter den Augen hatte er schwarze Ringe. Als er wieder hinausging, folgte ihm die Mutter.
    „Wie steht es jetzt mit Björgulv?“ fragte sie leise.
    Naakkve mied weiterhin ihren Blick, gab ihr jedoch ebenso leise zur Antwort, daß Björgulv jetzt schlafe.
    „Ist - ist er schon früher so gewesen?“ flüsterte sie voll Furcht.
    Naakkve nickte,

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