Kristin Lavranstochter 2
sei, im Winter einen Brief über das Gebirge zu befördern. Nein, aber Sira Dag könne sicher einen Brief nach Neset und von dort an der Küste entlang weitersenden lassen, sagte die Mutter. Die Priester hätten doch stets Gelegenheit, ihre Briefe zu befördern, selbst im Winter. Gaute sagte, dies käme zu teuer.
„Dann wird es nicht deine Frau sein, die dir in diesem Jahr ein Kind gebiert“, sagte die Mutter erzürnt.
„Die Angelegenheit kann ohnehin nicht so rasch geordnet werden“, erwiderte Gaute. Er war sehr zornig, das merkte Kristin.
Je mehr die Zeit vorschritt, desto mehr wurde die Mutter von einer heißen dunklen Angst erfaßt. Sie konnte sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß Gautes erste aufflammende Freude über Jofrid völlig verschwunden war; er ging nachdenklich und verstimmt umher. Vom ersten Augenblick an hatte diese Sache, Gautes Brautraub, so schlimm wie nur möglich ausgesehen - aber die Mutter dünkte es, viel schlimmer noch würde es sein, wenn der Mann sich jetzt hinterher furchtsam erwiese. Bereuten die beiden jungen Leute ihre Sünde, so war das gut und schön - es hatte aber ganz den Anschein, als herrsche bei Gaute weit eher eine unmännliche Furcht vor jenem Mann, den er gekränkt hatte, als eine gottesfürchtige Reue. Gaute - von diesem ihrem Sohn hatte sie stets das Beste geglaubt, es konnte nicht wahr sein, wie die Leute sagten, daß er in Frauensachen unzuverlässig und leichtfertig sei, daß er Jofrids schon überdrüssig sei, jetzt, da die Braut verblichen und schwerfällig aussah und die Zeit sich näherte, da er ihren Verwandten gegenüber seine Gewalttat verantworten mußte.
Sie entschuldigte den Sohn. Wenn sie selbst so leicht sich hatte verführen lassen, sie, die in der Zeit ihres Heranwachsens nichts anderes vor Augen gehabt hatte als das sittsame Betragen frommer Menschen! Ihre Söhne hatten von Kindheit an gewußt, daß ihre eigene Mutter gefehlt hatte, der Vater besaß aus seiner Jugend Kinder von der Frau eines anderen Mannes, und er hatte mit einer verheirateten Frau gesündigt, als sie bereits große Burschen waren. Ulv Haldorssohn, ihr Pflegevater, Fridas leichtfertige Reden - oh, es war kein Wunder, wenn diese jungen Männer sich so schwach zeigten. - Aber Gaute mußte Jofrid heiraten, wenn er das Einverständnis ihrer Verwandten erlangen konnte, und froh darüber sein - doch um das junge
Weib wäre es ein Jammer, wenn sie nun erleben müßte, daß Gaute sie notgedrungen, ohne guten Willen nahm, dachte Kristin.
Eines Tages während der Fastenzeit waren Kristin und Jofrid damit beschäftigt, den Mundvorrat für die Holzfäller herzurichten. Sie schlugen die Dörrfische mit einem Hammer dünn und flach, preßten Butter in Spanschachteln, füllten Bier und Milch in Flaschen aus Holz. Kristin sah, daß es der anderen jetzt große Qual bereitete, die ganze Zeit umherzugehen und zu arbeiten, aber diese wurde nur ärgerlich, als Kristin sie bat, sich zu setzen und zu ruhen. Um ihr eine kleine Freude zu machen, kam Kristin auf den Gedanken, sie nach jener Geschichte mit dem Hengst zu fragen, den Gaute mit dem Zopfband einer Jungfrau gezähmt haben sollte.
„Es war wohl das deine?“
„Nein“, sagte Jofrid böse und blutübergossen. Dann aber fuhr sie in einem anderen Ton fort:
„Es war Aasas - meiner Schwester - Band“, sagte sie lachend. „Diese umwarb Gaute zuerst, aber als ich heimkam, wußte er nicht, welche von uns beiden er lieber habe. Aber Aasa war es, die er im Sommer bei Dagrun zu treffen glaubte, als er nach Sogn kam, und dann wurde er böse, als ich ihn mit ihr neckte -schwur bei Gott und allen Heiligen, er sei nicht so, daß er den Töchtern ehrbarer Männer zu nahe trete, und zwischen Aasa und ihm sei nicht mehr gewesen, als daß er jetzt ohne Sünde noch diese Nacht auf meinem Arm schlafen dürfe, sagte er. Ich nahm ihn beim Wort..." Sie lachte wiederum. Als sie Kristins Gesicht sah, nickte sie trotzig.
„Ja, Gaute wollte ich zum Mann haben, und verlaßt Euch darauf, Mutter, ich bekomme ihn zum Mann. Ich setze meinen Willen fast immer durch ..."
Kristin wachte auf, und es war stockdunkel. Die Kälte schnitt sie in Wange und Nase, als sie die Felldecke besser um sich zog, fühlte sie, daß diese von ihrem Atem bereift war. Es ging wohl auf den Morgen zu, aber es graute ihr davor, aufzustehen und nach den Sternen zu sehen. Sie rollte sich ganz unter dem Fell zusammen, um sich noch ein wenig zu wärmen. Dabei entsann sie sich ihres
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