Kristin Lavranstochter 2
Traumes.
Ihr war gewesen, als läge sie in ihrem Bett in der kleinen Stube auf Husaby und habe soeben ein Kind geboren. Es lag auf ihrem Arm, in ein Lammfell eingehüllt, das sich zurückgeschlagen hatte und den kleinen dunkelroten Körper sehen ließ, die winzigen Hände hielt das Kind zu Fäusten geballt vor das Gesicht, die Knie waren zum Bauch hinaufgezogen und die Füße über Kreuz gelegt - ab und zu bewegte es sich ein wenig. Es kam ihr nicht in den Sinn, sich zu fragen, weshalb der Knabe nicht besser eingehüllt sei und weshalb keine Frauen in der Stube bei ihr waren. Die von ihr ausströmende Wärme hüllte das Kind noch ein, während es so an ihr lag; durch ihren Arm hindurch fühlte sie es noch bis an ihre Herzwurzeln, wenn das Kind sich bewegte. Müdigkeit und Schmerzen beschatteten sie noch, ähnlich wie Dunkelheit, die im Weichen begriffen ist, während sie dalag und den Sohn betrachtete und fühlte, wie die Freude an ihm und die Liebe unaufhörlich Zunahmen, so wie der Tag über den Bergen emporwächst.
Aber gleichzeitig, wie sie so dort im Bett lag, stand sie auch draußen hinter dem Haus. Zu ihren Füßen lag das Tal und leuchtete in der Morgensonne. Es war ein früher Winterfrühlingstag - sie sog die scharfe, frische Luft ein, der Wind war eisigkalt, aber er brachte einen Geschmack vom Meer weit draußen und von der Schneeschmelze mit: die Höhenrücken lagen in der Morgensonne schwer vor dem Tal, mit schneefreien Flecken rings um die Höfe, und der Harsch glänzte wie schimmerndes Silber überall auf den Lichtungen in den dunkelgrünen Wäldern. Der Himmel war wie rein gefegt, klargelb und blaßblau, mit ganz wenigen dunklen, vom Wind getriebenen Wolken, die weit draußen dahinschwammen - aber kalt war es; dort, wo sie stand, war die Schneedecke noch steinhart vom Nachtfrost, und zwischen den Häusern lag kalter Schatten, denn die Sonne stand tief am Berg, östlich hinter dem Hof. Und dicht vor ihr, wo der Schatten endete, bewegte der Morgenwind das bleiche, vorjährige Gras, es neigte sich, und es schimmerte, aber noch hielt eine stahlblanke Eiskruste seine Wurzeln in ihrem Bann.
„Oh - oh.“ Der Klageseufzer stieg ihr wider Willen aus der Brust. Lavrans hatte sie noch bei sich - sie hörte die gleichmäßigen Atemzüge des Knaben aus dem anderen Bett drüben. Und Gaute - er lag mit seiner Buhlerin droben im Dachraum. Die Mutter seufzte wiederum, bewegte sich unruhig, und Erlends alter Hund drückte sich unter der Decke dichter an ihre hochgezogenen Beine heran.
Jetzt hörte sic, daß Jofrid auf war und hin und her ging. Rasch schlüpfte Kristin aus dem Bett und zog die zottigen Stiefel, das Frieskleid und den Pelzkittel an; im Dunkeln tastete sie sich zum Ofen hin, hockte dort nieder, wühlte in der Asche und blies sie an, aber es kam kein Funke - die Feuermutter war diese Nacht erloschen.
Sie holte den Stahl aus dem Beutel an ihrem Gürtel, aber offenbar war der Feuerschwamm naß geworden und gefroren. Schließlich mochte sie sich nicht mehr damit abplagen, nahm die Glutpfanne und stieg hinauf, um sich bei Jofrid Glut zu holen.
Droben brannte ein schönes Feuer in dem kleinen Ofen und verbreitete Licht im Raum. Jofrid saß in dem flackernden Schein da und war im Begriff, die kupferne Schnalle an Gautes Wams aus Renntierfell besser zu befestigen, drüben im Dämmerlicht des Schrankbettes sah sie den nackten Oberkörper des Mannes - Gaute schlief selbst in der ärgsten Kälte ohne Hemd. Er saß nun im Bett und hatte den Morgenimbiß vor sich.
Jofrid stand auf, schwerfällig und hausmütterlich - ob nicht die Mutter einen Schluck Bier wolle? Sie hatte Gaute den Morgentrunk gewärmt. Und diese Kanne müsse die Mutter für Lavrans mitnehmen - er sollte heute mit Gaute zum Holzfällen in den Wald gehen, es würde ein kalter Tag für die Männer werden.
Als Kristin wieder unten in ihrer Stube stand und im Ofen Feuer machte, schürzte sie unwillig die Lippen. Jofrids häusliche Beschäftigung, Gaute, der dalag und sich ganz offen von seiner Liebsten bedienen ließ, die Fürsorge der Buhlerin für ihren ungesetzlichen Schwager - all das dünkte sie so schamlos und so widerlich.
Lavrans blieb draußen im Wald, Gaute aber kam zum Abend heim, erschöpft und hungrig. So saßen denn, als das Gesinde hinausgegangen war, die Frauen noch eine Weile auf, um dem Mann Gesellschaft zu leisten, während er trank.
Kristin sah. daß es Jofrid an diesem Abend nicht gut ging. Immer wieder ließ sie die
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