Kristin Lavranstochter 2
auch nicht am Abend - sie gingen hinaus und suchten, und schließlich erfuhr Jammaelt, daß man Andres weit oben in der Nachbargemeinde in Begleitung zweier Leute, die Krepp und Kraake genannt wurden, gesehen habe; er trug ihr Kind. Als Jammaelt endlich am nächsten Tag den Knaben einholte, sagte dieser, er habe am letzten Sonntag während der Messe, als er dastand und das Gleichnis auf dem Altarbild betrachtete, eine Stimme vernommen. Das Bildnis stellte Gottes Mutter und Sankt Josef dar, die mit dem Kind nach Ägypten flohen, und in ihm war der Wunsch wach geworden, zu jener Zeit zu leben, denn dann hätte er darum gebeten, mit diesen beiden gehen und das Kind der Jungfrau Maria tragen zu dürfen; da hätte er eine Stimme vernommen, die sanfteste und süßeste der Welt, und sie versprach, ihm ein Zeichen zu geben, wenn er an einem gewissen Tag zur Bjerkheims-Brücke gehen würde...
Im übrigen wollte Andres nur ungern über seine Gesichte sprechen, denn ihr Kirchspielpfarrer sagte, sie seien wahrscheinlich zum Teil erdichtet und zum Teil Betäubung und Sinnesverwirrung - und seine Mutter erschreckte er mit seinem seltsamen Wesen am allermeisten. Aber er sprach mit einer alten Magd darüber, einem sehr frommen Weib, und mit einem Prädikantenbruder, der zur Fasten- und Adventszeit durch das Tal zu wandern pflegte. Und es war wohl zu erwarten, daß der Knabe einmal das geistliche Leben wählen würde - so würde also wahrscheinlich Simon Simonssohn sich einstmals auf Formo niederlassen. Er war ein gesundes und liebliches Kind, ganz wie sein Vater, und Ramborgs Liebling.
Ramborg und Jammaelt waren in ihrer Ehe noch keine Kinder beschieden; Kristin hatte von Leuten, die auf Raumarike gewesen waren und Ramborg gesehen hatten, gehört, daß sie sehr dick und faul geworden sei. Sie lebte zwischen den reichsten und mächtigsten Leuten, aber nach Norden, in ihr Heimattal, wollte sie niemals reisen, und Kristin hatte ihre einzige Schwester seit jenem Tage, da sie sich auf Formo trennten, nicht mehr gesehen. Aber Kristin glaubte zu wissen, daß Ramborg ihr noch unvermindert gram war. Sie lebte gut mit Jammaelt, und er nahm sich seiner Stiefkinder mit liebevoller Fürsorge an. Er hatte verabredet, daß der älteste Sohn jenes Mannes, der sein Haupterbe wurde, wenn er kinderlos sterben würde, mit Ulvhild Simonstochter verlobt werden sollte; so kam wenigstens Simon Darres Tochter zu einer Nutznießung seiner Hinterlassenschaft. Arngjerd war ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters mit Grunde auf Eiken verheiratet worden; Gyrd Darre und Jammaelt hatten ihr eine so reichliche Mitgift gegeben, wie sie nach ihrer Ansicht auch Simon diesem Kinde vergönnt hätte, und es ging ihr gut, sagte Jammaelt - Grunde ließ sich in allem und jedem von seiner Frau leiten, und sie hatten bereits drei schöne Kinder.
Kristin wurde seltsam bewegt, als sie Simons und Ramborgs ältesten Sohn wiedersah. Er war das lebendige Ebenbild Lavrans Björgulvssohns - noch viel mehr als Gaute. Und in den letzten Jahren hatte Kristin ihren Glauben, daß Gaute im Gemüt ihrem Vater so ähnlich sei, ganz fallenlassen müssen.
Andres Darre war jetzt im zwölften Lebensjahr, groß und schlank, hell und schön und ein wenig still im Wesen, obgleich er einen gesunden und heiteren Eindruck machte, er hatte gute
Körperkräfte und aß gern, bloß wollte er kein Fleisch zu sich nehmen. Irgend etwas unterschied ihn von anderen Knaben, aber Kristin konnte nicht sagen, was es war, obgleich sie ihn genau beobachtete. Andres freundete sich mit der Muhme gut an, aber er sprach nie über seine Gesichte und fiel nie in den Zustand der Verzückung, solange er in Sil war.
Die vier Erlendssöhne schienen sich über ihr Zusammensein auf dem Hof der Mutter sehr zu freuen. Kristin fand aber nicht viel Gelegenheit, mit den Söhnen zu sprechen. Wenn diese sich miteinander unterhielten, fühlte sie, daß deren Leben und Wohlergehen jetzt ihrem Gesichtskreis entglitt - die beiden, die von draußen kamen, hatten sich von daheim losgelöst, und die beiden, die auf dem Hof lebten, waren wohl im Begriff, ihr die Leitung aus der Hand zu nehmen. Das Gastgelage traf gerade in die Frühjahrszeit, da alles knapp war, und sie sah nun, daß Gaute sich offenbar schon darauf vorbereitet hatte, indem er im Winter mehr am Futter gespart hatte als sonst und sich auch von Herrn Sigurd Futter entlehnt hatte - aber dies alles hatte er angeordnet, ohne sie um Rat zu fragen. Und alle Beratungen über Gautes
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