Kristin Lavranstochter 2
nicht..
„Früher habe ich das getan, was meinem Vater unrecht schien - da geschah es nur, um meine eigene Lust zu fördern. Andres ist auch sein Fleisch und Blut - mein eigenes Fleisch, Simon - meiner einzigen Schwester Sohn ...“
Simon atmete schwer und bebend; er stand da und blickte zu Boden.
„Willst du jedoch nicht, daß ich diesen äußersten Versuch wage .. .“ Er stand wie zuvor mit gesenktem Kopf da, antwortete nicht.- Da wiederholte sie es noch einmal und wußte nicht, daß ein seltsames halbes Lächeln beinahe höhnisch auf ihre weißen Lippen trat.
„Willst du, daß ich nicht gehe?“
Simon wandte den Kopf zur Seite, und Kristin ging an ihm vorbei, trat lautlos durch die Tür und zog sie still hinter sich zu.
Draußen war es stockdunkel, und ab und zu strich ein leiser Hauch von Süden her, so daß alle Sterne unruhig blitzten und funkelten.
Sie war noch nicht weiter gekommen als bis zu der Gasse zwischen den Zäunen und fühlte sich doch schon wie in die Ewigkeit hinausgelangt. Ein endloser Weg lag hinter ihr und vor ihr. Als sollte sie dem Unterfangen, in das sie sich gewagt hatte, nie wieder entrinnen von dem Augenblick an, da sie in diese Nacht hinausgetreten war .. .
Die Dunkelheit war wie eine Macht, durch die sie sich vorwärts stemmte. Der Weg war schlüpfrig - aufgewühlt von vielen Mistfuhren, und es taute unter dem Südwind. Mit jedem Schritt mußte sie sich losreißen von der Nacht und der feuchten Kälte, die sich an ihre Füße hängte, sich an ihr emporsaugte und die Kanten ihrer Kleider schwer machte. Da und dort sank neben ihr ein fallendes Blatt herab - als rühre ein lebendiges Leben sie in der Finsternis an, behutsam, seiner Übermacht sicher. „Kehr um, du ..
Als sie auf den breiteren Weg kam, fiel ihr das Gehen leichter: er war grasüberwuchert, sie blieb nicht mehr mit den Füßen im Schmutz stecken. Sie fühlte, daß ihr Gesicht wie zu Stein erstarrt war, der Körper angespannt und straff - jeder Schritt trug sie unbarmherzig dem kleinen Wald zu, durch den sie hindurch mußte. Wie eine innere Gelähmtheit stieg es in ihr auf -um keinen Preis wagte sie sich durch dieses Stück Finsternis hindurch, aber sie dachte nicht ans Umkehren. Vor Entsetzen fühlte sie ihren Körper nicht, und unterdessen fuhr sie fort, wie im Schlaf weiterzugehen, trat sicher über Steine und Wurzeln und Unebenheiten, unbewußt vorsichtig, um nicht zu stolpern, um nicht aus dem gleichmäßigen Schreiten herauszukommen und dem Entsetzen Gewalt über sich zu geben.
Jetzt rauschten die Fichten in der Nacht immer näher und näher; sie trat zwischen die Bäume, mit der Sicherheit einer Nachtwandlerin ging sie zwischen ihnen dahin. Sie vernahm jeden Laut und wagte um der Dunkelheit willen kaum, die Lider zu heben. Das Flußrauschen, die tiefen Seufzer in den Zweigen, das Rieseln eines Baches über Steine hinweg, all dem ging sie entgegen, kam daran vorbei und schritt weiter. Einmal geriet droben in dem Geröllfeld ein Stein ins Rollen, als habe sich dort ein Lebewesen bewegt - der Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus, aber sie wagte ihren Schritt weder zu verlangsamen noch zu beschleunigen ...
Als Kristin aus dem Wald heraustrat, waren ihre Augen so an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie nun besser sah - es blitzte ein wenig auf dem Band des Flusses, auf Wassertümpeln draußen in den Mooren. Die Äcker lösten sich aus der Dunkelheit, die Häusergruppen wirkten wie Erdklumpen darauf. Auch der Himmel schien hoch über ihr heller zu werden - sie fühlte es, wagte jedoch nicht, an den himmelhohen schwarzen Bergseiten hinaufzublicken. Aber sie wußte, daß die Zeit bald nahe war, da der Mond aufgehen sollte.
Sie versuchte, sich selber daran zu erinnern: in vier Stunden ist es Tag, die Leute begeben sich auf allen Höfen im Tal an ihre Tagesarbeit, das Morgengrauen bricht an, es wird heller über den Höhen. Da ist der Weg nicht lange - im Tageslicht ist es nicht weit von Formo bis zur Kirche. Und bis dahin war sie längst wieder im Haus. Aber es schien ihr, als müßte sie dann eine andere sein als bei ihrem Aufbruch.
Sie wußte - hätte es eines ihrer eigenen Kinder gegolten, so hätte sie nicht gewagt, diesen äußersten Versuch zu machen. Gott in den Arm zu fallen, wenn er ihn nach einer lebenden Seele ausstreckte. Früher, als sie am Krankenbett ihrer eigenen
Kinder gesessen, da sie noch jung war und ihr Herz weich und zart, hatte sie, wenn sie meinte, in Angst und Herzensqual
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