Kristin Lavranstochter 2
stürzte weg, stopfte Reiser und Holz in die Herdöffnung und warf den Zauber in das neue, knatternde Feuer. Dann aber mußte sie ein wenig stehenbleiben und sich an die Wand stützen - die Tränen rannen ihr über das Gesicht.
Sie schöpfte Milch aus der kleinen Schüssel beim Feuer und brachte sie dem Kind - Andres war schon wieder eingeschlafen. Er schien sich jetzt gesund zu schlafen.
Da trank sie selbst die Milch. Es schmeckte so gut, daß sie zwei oder drei Schöpfkellen von dem warmen Trunk in sich hineinschütten mußte.
Immer noch wagte sie nicht, zu sprechen - der Knabe hatte noch nicht ein verständliches Wort gesagt. Aber zu Füßen des Bettes sank sie in die Knie und betete innerlich und ohne Laut:
Convertere, Domine, aliquantulum; et deprecare super servos tuos. Ne ultra memineris iniquitatis nostrae: ecce respice; populus tuus omnes nos 1
Ja, ja, ja. Es war etwas Entsetzliches, was sie getan hatte.
Aber es handelte sich um deren einzigen Sohn. Sie, sie hatte sieben! Mußte sie nicht alles versuchen, um den einzigen Sohn ihrer Schwester zu retten?
Alles, was sie heute nacht gedacht hatte... Es war nur die Verwirrung der Nacht gewesen. Sie hatte es doch aus keinem anderen Grunde getan als nur, weil sie nicht mit ansehen konnte, wie das Kind unter ihren Händen starb.
Simon - der sie nie im Stich gelassen hatte. Der gegen jeder Mutter Kind getreu und gut gewesen war, das wußte sie -und am besten gegen sie und die Ihren. Und nun dieser sein Sohn, den er mehr als seine eigenen Augensterne liebte - mußte sie nicht alles versuchen, um das Leben des Knaben zu retten? Selbst mit einer Sünde?
Ja, es war sündig, aber Gott strafe es an mir! Simons und Ramborgs kleines, schönes, unschuldiges Kind! Gott würde es nicht an Andres strafen ... Sie trat ans Bett und beugte sich darüber - hauchte die eine kleine, wachsbleiche Hand an. Sie zu küssen, wagte sie nicht - er durfte nicht geweckt werden.
Hell und schuldlos. - In jenen Schreckensnächten, da sie allein auf Haugen zurückgeblieben war, hatte Frau Aashild ihr davon erzählt - hatte ihr von ihrem Gang nach dem Friedhof in Konungahelle erzählt: „Das, Kristin, war wohl das Schwerste, das ich je auf mich genommen habe.“ - Aber Björn Gunnarssohn war kein unschuldiges Kind, als Aashild Gautestochters Vettern mit ihren Schwertern seinem Herzen zu nahe gekommen waren und er daniederlag. Er hatte den einen erschlagen, ehe er selbst zu Fall kam, und der andere wurde seit dem Tag, an dem er mit Herrn Björn die Waffe gekreuzt hatte, nie wieder ein gesunder Mann ...
Kristin stand bei der Fensterscheibe und blickte auf den Hof hinaus.
Draußen gingen die Leute, mit ihrer Arbeit beschäftigt, umher. Ein paar kleine Kälber sprangen auf dem Hofplatz herum - sie waren so hübsch.
Im Dunkeln wachsen so vielerlei Gedanken - gleich jenen schleierdünnen Gewächsen, die drunten im Meere wuchern und sich seltsam zauberhaft schön wiegen und biegen; lockend und furchteinflößend, besitzen sie eine merkwürdig dunkle Anziehung, solange sie in ihrem lebenden, rinnenden Bereich wohnen. Haben die Kinder sie aber ins Boot heraufgefischt, so sind sie nur eine schleimige braune Masse. In der Nacht wachsen so viele seltsame Gedanken, die zugleich erschrecken und locken. Es war wohl Bruder Edvin gewesen, der einmal gesagt hatte, daß die Verdammten in der Hölle sich nicht von ihrer Qual trennen wollen - der Haß und die Trauer seien ihre Wollust, darum könne Christus sie nicht erlösen. Damals hatte ihr dies eine irre Sprache geschienen. Es durcheiste sie kalt, jetzt begann sie zu begreifen, was der Mönch gemeint hatte ...
Wiederum beugte sie sich über das Bett - atmete den Geruch des kleinen Kindes ein. Simon und Ramborg sollten ihn nicht verlieren. Und wenn es auch für sie notwendig gewesen war, sich in Simons Augen zu rechtfertigen - ihm zu zeigen, daß sie auch anderes zu tun vermochte, als nur von ihm entgegenzunehmen, so war es ihr doch auch ein Bedürfnis gewesen, als Gegenleistung sich für ihn einzusetzen.
Dann kniete sie nieder, wiederholte oft und oft alles, was sie von dem Psalm auswendig wußte.
An diesem Morgen ging Simon hinaus und säte Winterroggen auf dem neu umgebrochenen Acker südlich im Birkenwald. Es schien ihm, er müsse so tun, als dünke es ihn ganz in der Ordnung, daß die Arbeit auf dem Hof ihren gewohnten Gang weiterging. Die Dienstmägde waren baß verwundert gewesen, als er in der Nacht zu ihnen kam und sagte, Kristin wolle
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