Kristin Lavranstochter 2
Rubinen ab, den Verlobungsring ihrer Vatermutter - das Kind ist ein Nachkomme meines Vaters, dachte sie. Sie steckte den Ring so tief wie möglich in die Erde, band das Stück Wasen in das linnene Tuch und bedeckte die zurückgebliebene leere Stelle mit Moos und Laub.
Als sie aufstand, zitterten ihr die Beine so sehr, daß sie eine Weile stehenbleiben mußte, che sie sich umdrehen konnte. Wenn sie jetzt unter dem Ellbogen hindurchblickte, so konnte sie sie erblicken ...
Und es zog und zerrte so schrecklich an ihr, als wollten sie sie zwingen, dies zu tun. Alle die Toten, die sie früher in der Welt gekannt hatte. Bist du es, Kristin Lavranstochter - kommst du so hierher? Arne Gyrdssohn in dem Grab draußen vor dem westlichen Eingang. Ja, Arne, du hast wohl ein Recht, dich zu wundern - ich war nicht so, zu jener Zeit, da wir beide einander kannten...
Dann kletterte sie wieder über die Mauer und ging hinunter.
Der Mond leuchtete jetzt über dem Tal. Draußen auf den Wiesen lag Jörundhof, - der Tau glitzerte im Gras auf allen Dächern. Sie blickte dorthin, beinahe stumpf. Es war, als sei sie selbst von der Heimat und all den anderen dort weggestorben - die Tür war für immer verschlossen für sie, die in dieser Nacht oben auf dem Weg vorbeiwanderte ...
Der Berg beschattete fast ihren ganzen Rückweg. Es wehte jetzt stärker - ein Windstoß nach dem anderen kam ihr gerade entgegen. Welkes Laub flatterte auf sie zu und wollte sie dorthin zurückweisen, von wo sie soeben herkam.
Sie meinte auch, zu fühlen, daß sie nicht ohne Begleitung dahinging. Immer wieder klang es wie schleichende Schritte hinter ihr her. Bist du es, Arne? Blick dich um, Kristin, schau unter dem Arm durch, führte es sie in Versuchung.
Dennoch war es, als habe sie keine richtige Furcht mehr. Nur kalt und beklommen war ihr zumute, krank war sie vor Lust, sich nachzugeben und zusammenzusinken. Nach dieser Nacht konnte sie hier auf der Welt wohl nie mehr Angst empfinden.
Simon saß auf seinem gewohnten Platz zu Häupten des Bettes, über das Kind gebeugt, als Kristin die Tür öffnete und hereintrat. Einen kurzen Augenblick sah er auf, Kristin fragte sich, ob sie durch diese Stunde ebenso verbraucht und verheert und alt aussehe wie er. Dann beugte Simon den Kopf ganz hinab und barg ihn im Arm.
Er schwankte ein wenig, als er sich erhob, und als er an ihr vorbei zur Tür ging, wandte er das Gesicht von ihr ab, ließ Kopf und Schultern hängen.
Kristin zündete zwei Lichte an und stellte sie auf den Tisch. Der Knabe öffnete die Augen ein wenig, blickte auf, seltsam bewußtlos, wimmerte und versuchte, den Kopf vom Licht wegzudrehen. Als Kristin den kleinen Körper zurechtlegte, wie man einen Leichnam zurechtlegt, machte er keinen Versuch, die Lage zu wechseln - er schien zu schwach zu sein, um sich rühren zu können.
Dann deckte sie das Linnen über sein Gesicht und seine Brust und legte den Wasenstreifen quer darüber.
Dabei erfaßte sie das Entsetzen von neuem wie eine Sturzwelle.
Sie mußte beim Bett sitzen. Das Fenster war dicht über der kurzen Bank. Sie wagte nicht, ihm den Rücken zuzudrehen -besser den andern in die Augen sehen, wenn jemand draußen stand und hereinblickte. Sie zog den Lehnstuhl ans Bett heran, saß dem Fenster zugewandt - die Nacht drückte verstummend schwarz herein, eines der Lichte spiegelte sich im Glas. Kristin starrte steif darauf hin, krampfte die Hand um die Stuhllehne, so daß die Fingerknöchel weiß wurden und ihre Arme ab und zu zitterten. Sie fühlte ihre eigenen Beine nicht, so kalt und naß waren sie - sie saß da, und ihre Zähne schlugen vor Grauen und Kälte aufeinander, und der Schweiß rann ihr wie Eiswasser über Gesicht und Rücken. Unbeweglich saß sie da, warf nur verstohlen ab und zu einen blitzschnellen Blick auf das Linnen, das sich ganz leise mit den Atemzügen des Kindes hob und senkte.
Endlich begann es hinter der Scheibe zu dämmern. Hahnenschreie durchschnitten die Luft, und dann hörte sie Männer auf dem Hofplatz - sie gingen in den Stall.
Schlaff fiel sie in den Stuhl zurück, zitterte wie in Krämpfen und versuchte, eine Stellung zu finden, in der ihre Beine nicht gleichzeitig mit ihrem bebenden Körper so unruhig hin und her zuckten.
Da bewegte es sich stark unter dem Linnen: Andres schob es von seinem Gesicht weg, wimmerte verdrossen - er kam gewissermaßen zu sich, denn er knurrte sie zornig an, als sie auffuhr und sich über ihn beugte.
Sie riß Tuch und Erde an sich,
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