Kristin Lavranstochter 2
Allerheiligste aus der Kirche. Simon und Ramborg gelobten Messen, Fastentage und Almosen, wenn Gott sie erhören und ihrem Sohn das Leben schenken wollte.
Erlend kam eines Tages vorbei; er wollte nicht vom Pferde steigen und hineingehen, Kristin und Simon kamen auf den Hofplatz heraus und sprachen mit ihm. Er sah sie sehr betrübt an. Trotzdem, dieser Ausdruck hatte Kristin stets seltsam unbestimmt und dumpf gegen ihn aufgebracht. Wohl bereitete es ihm Schmerz, wenn er jemand krank und traurig sah, aber es war fast, als würde er verwirrt und verlegen dadurch - er sah so völlig ratlos aus, wenn er jemand bedauerte.
Später kamen dann jeden Tag entweder Naakkve oder die Zwillinge nach Formo und fragten nach Andres.
Die sechste Nacht brachte keine Wendung - aber im Lauf des Tages schien es dem Knaben ein wenig besser zu gehen, er war nicht mehr so heiß. Simon und Kristin saßen um die Mittagszeit allein bei ihm drinnen. Der Vater zog eine vergoldete Kapsel heraus, die er unter den Kleidern an einer Schnur um den Hals trug. Er beugte sich zu dem Knaben hinab, ließ die Kapsel vor seinen Augen tanzen, schob sie dem Kind in die Hand und drückte die kleinen Finger zu - aber Andres schien nichts zu fühlen. Diese Kapsel hatte Simon bekommen, als er noch ein Kind war, und hatte sie seitdem stets getragen - sein Vater hatte sie aus Frankreich mitgebracht. Sie war in einem Kloster namens Sankt Mikaels Berg geweiht worden und trug ein Bild von Sankt Mikael mit großen Schwingen. Andres sah es immer gern an, erzählte Simon ganz leise. Aber der Kleine glaubte, es sei ein Hahn; er nannte den Anführer der Engel einen Hahn ... Mit der Zeit hatte er schließlich den Knaben gelehrt, Engel zu sagen. Eines Tages aber, als sie auf dem Hofplatz standen, sah Andres, wie der Hahn eine seiner Hennen züchtigte. „Jetzt ist der Engel böse, Vater“, sagte er da.
Kristin blickte flehend zu Simon auf - es schnitt ihr ins Herz, ihm zuzuhören, obgleich er ganz gleichmäßig und ruhig sprach. Und sie war so erschöpft von all diesen durchwachten Nächten ; sie fühlte, daß sie jetzt nicht zu weinen anfangen dürfte.
Simon schob die Kapsel wieder unter sein Hemd.
„Ach ja. Ich will mein Leben lang jedes Jahr am Sankt-
Mikaels-Tag der Kirche einen dreijährigen Stier schenken, wenn Sankt Mikael ein wenig warten will, bis er diese Seele zu sich holt. Er läge doch wohl wie ein gerupftes Küken auf der Waagschale, der Andres, so klein, wie er ist...." Als Simon zu lachen versuchte, schlug ihm die Stimme um.
„Simon, Simon!“ bat Kristin.
„Ja, es geht, wie es gehen muß, Kristin. Und Gott selber lenkt alles - er weiß wohl am besten..." Der Vater sagte nichts weiter, stand nur da und blickte auf den Sohn hinab.
In der achten Nacht wachten Simon und eine der Mägde am Krankenbett, während Kristin ein wenig schlummerte. Als sie erwachte, schlief die Magd. Simon saß, wie er die meisten Nächte dagesessen hatte, auf der Bank beim Kopfende des Bettes; er hielt den Kopf auf das Bett und das Kind hinabgebeugt.
„Schläft er?“ fragte Kristin und trat hinzu.
Simon hob den Kopf. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht; sie sah, daß seine Wangen naß waren. Aber er antwortete still und ruhig:
„Jetzt glaube ich, Kristin, daß Andres keinen Schlaf mehr finden wird, ehe er in geweihte Erde kommt
Kristin stand vor ihm - es war, als erstarre sie. Langsam erbleichte sie unter der Sonnenbräune, wurde bis in die Lippen weiß.
Dann ging sie in den Winkel hinüber und nahm ihren Umhang.
„Du mußt es so einrichten“, sie sprach, als seien ihr Hals und Mund ausgedörrt, „daß du allein hier bist, wenn ich zurückkomme. Bleibe du bei ihm sitzen - und wenn du mich hereinkommen siehst, so sprich kein Wort und sage auch später nie ein Wort darüber, weder zu mir noch zu jemand anderem. Auch nicht zu deinem Priester ..
Simon erhob sich, trat langsam auf sie zu. Auch er war bleich geworden.
„Nein - Kristin!“ Er sprach beinahe unhörbar. „Ich - ich wage es nicht - daß du diesen Gang tust..“
Sie legte sich den Umhang um, holte ein linnenes Tuch aus der Truhe im Winkel, faltete es zusammen und verbarg es im Busen.
„Ich wage es. Du weißt, niemand darf sich uns nachher nähern, ehe ich rufe - niemand darf uns nachher nahe kommen oder mit uns sprechen, ehe er erwacht ist und selbst gesprochen hat.“
„Wie, glaubst du, würde dein Vater darüber denken?“ flüsterte er, schwach wie zuvor. „Kristin - tu es
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