Kristin Lavranstochter 2
zusammenbrechen zu müssen, versucht zu sagen: Herr, du liebst sie mehr als ich - und dein Wille geschehe.
Nun aber ging sie hier in dieser Nacht und trotzte ihrem eigenen Entsetzen. Dieses Kind, das nicht ihr gehörte, wollte sie retten, für welches Schicksal sie es auch rettete ...
Denn auch du, Simon Darre, nahmst, da es das Liebste galt, das du auf Erden besaßest, Hilfe an, nahmst mehr entgegen, als ein Mensch mit vollen Ehren entgegennehmen kann.
Willst du, daß ich nicht gehe... Und er hatte nicht das Herz gehabt zu antworten. Im tiefsten Innern wußte sie - wenn das Kind starb, so würde Simon auch dies zu ertragen vermögen. Aber sie hatte in dem einzigen Augenblick, in dem sie erkannte, daß er dem Zusammenbrechen nahe war, zugegriffen - hatte diesen Augenblick an sich gerissen und mit sich fortgenommen. Dies Geheimnis wollte sie mit ihm haben, daß er wußte, auch sie hatte ihn einmal gesehen, als er nicht fest auf seinen Füßen stand ...
Denn er wußte allzuviel von ihr. Von jenem Mann, den sie einst verschmähte, hatte sie Hilfe angenommen, jedesmal, wenn es galt, den zu retten, den sie erwählt hatte. Jener Freier, den sie von sich warf, war der Mann, an den sie sich jedesmal wandte, sooft sie der Hilfe bedurfte, um ihre Liebe zu retten. Und niemals hatte sie Simon vergebens gebeten - immer und immer wieder hatte er sie beschirmt, war mit seiner Güte und seiner Stärke für sie eingestanden.
So nahm sie diesen nächtlichen Gang auf sich, um ein wenig von der Schuldenlast abzuwälzen, deren erdrückender Schwere sie sich bis zu dieser Stunde nie so klar bewußt gewesen war.
Simon hatte sie gezwungen, schließlich zu verstehen, daß er der Stärkere war - stärker als sie selbst und stärker als der Mann, den sie erwählt und dem sie sich gegeben hatte. Sie hatte dies wohl schon von der Stunde an begriffen, da die drei an dem schändlichen Ort in Oslo Angesicht in Angesicht einander gegenüberstanden - obgleich sie es damals noch nicht sehen wollte, daß dieser rundwangige, wohlbeleibte, harmlose Junge stärker war als ...
So ging sie dahin und wagte nicht, einen heiligen Namen anzurufen, und sie nahm diese Sünde auf sich, um .. . Sie wußte nicht, war es, um Rache zu nehmen - Rache dafür, zu der Er-kenntnis gezwungen worden zu sein, daß er hochgesinnter war als sie beide?
Jetzt aber verstehst auch du, Simon, wenn es um das Leben dessen geht, den man mehr liebt als sein eigenes Herz - so greift ein armer Mensch nach allem, allem ...
Der Mond war über den Bergrand gestiegen, als sie den Hügel zur Kirche hinaufschritt. Wieder war es, als müsse sie durch eine neue Woge des Entsetzens hindurch - das Mondlicht lag wie dünnes Spinngewebe über der geteerten Masse; die Kirche selbst stand fürchterlich und drohend schwarz unter diesem dünnen Schleier. Sie sah das Kreuz draußen auf dem Rasenplatz, und zum erstenmal wagte sie nicht, hinzugehen und den gesegneten Kreuzesstamm zu grüßen. Sie schlich sich dort hinüber, wo sie wußte, daß die Kirchhofsmauer aus Torf und Stein am niedrigsten und am leichtesten zu überklettern war.
Da und dort glänzte ein Grabstein wie Wasser zwischen dem hohen, betauten Gras. Kristin ging quer durch den Friedhof bis hinunter zu den Armengräbern ganz hinten an der Südmauer.
Sie ging dorthin, wo ein armer, ins Tal eingewanderter Mann lag. Er war in einem Winter im Gebirge oben erfroren; seine beiden mutterlosen Töchter wurden der Reihe nach auf den Höfen aufgenommen, bis Lavrans Björgulvssohn sich erbot, sie um Christi willen bei sich zu behalten und sie aufzuziehen. Als sie erwachsen wurden und tüchtig zu werden versprachen, hatte Kristins Vater selber ordentliche arbeitsame Männer für sie gesucht, ihre Hochzeit ausgerichtet und ihnen Kuh und Kalb und Schafe mitgegeben, von Ragnfrid hatten sie Bettzeug und Kochgerät erhalten - jetzt lebten sie als wohlgeborgene Frauen. Die eine war Ramborgs Magd gewesen, und Ramborg hatte ihr Kind aus der Taufe gehoben.
Nun mußt du mir ein Stück Wasen aus deinem Dach gönnen, Bjarne, für Ramborgs Sohn. Kristin kniete nieder und zog ihren Dolch heraus.
Der Schweiß stand ihr eiskalt auf Stirn und Oberlippe, als sie die Finger in die taufeuchte Erde grub. Es ging nicht ganz leicht, irgend etwas hielt fest - nur Wurzeln, sie durchschnitt sie mit dem Dolch.
Als Gegengabe sollte der Tote Gold oder Silber bekommen, das sich durch drei Geschlechter hindurch vererbt hatte. Kristin zog den kleinen goldenen Ring mit den
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