Kristin Lavranstochter 2
eingegraben ist als alle Runen, die später eingeritzt werden ..."
„Hast du niemals jenes Sprichwort gehört, das sagt, das Herz des Mannes ist das erste, was im Mutterleib zum Leben erwacht, und das letzte, was in ihm stirbt?“ sagte Ramborg leise.
„Nein. Gibt es ein Sprichwort, das solches sagt? Ja, es kann wohl auch wahr sein.“ Er streichelte flüchtig über ihre weiße Wange. „Aber wenn wir diese Nacht überhaupt noch schlafen wollen, so müssen wir jetzt zu Bett gehen“, sagte er müde.
Ramborg schlief nach einer Weile ein, und Simon zog behutsam seinen Arm unter ihrem Nacken hervor, rückte bis an die äußerste Bettkante hinaus und zog sich das Fell bis dicht ans Kinn. Sein Hemd war an der Schulter ganz naß von ihren Tränen. Sie tat ihm bitter leid, seine Frau - gleichzeitig fühlte er mit einer neuen Verzweiflung, daß er nicht länger mit ihr so weiterleben konnte, als wäre sie ein blindes, unerfahrenes Kind. Jetzt mußte er sich mit dem Bewußtsein abfinden, daß Ramborg ein vollerwachsenes Weib war.
Hinter der Scheibe wurde es schon grau - die Mainacht war im Schwinden. Simon fühlte sich so todmüde - und morgen war Feiertag. Er wollte nicht zur Kirche gehen - obwohl es ihm gewiß herzlich not getan hätte. Er hatte Lavrans einmal gelobt, ohne triftigen Grund nie eine Messe zu versäumen -aber es hatte ihm nicht viel geholfen, daß er seinem Gelöbnis in allen diesen Jahren treu geblieben war, dachte er bitter. Morgen würde er nicht zur Kirche reiten.
Die Schuldiger
1
Kristin erfuhr nicht ganz genau, was zwischen Erlend und Simon vorgefallen war. Erlend erzählte ihr und Björgulv, was Simon über seine Reise nach Dyfrin gesagt hatte und daß sie danach in einen Wortwechsel geraten waren, der damit endete, daß sie sich in Feindschaft trennten. „Mehr kann ich dir darüber nicht sagen.“
Erlend war ein wenig bleich, sein Gesicht hatte einen festen und entschlossenen Ausdruck. Sie hatte es in den Jahren, die sie mit ihm verheiratet war, nur ganz selten so gesehen. Dann wußte sie, daß es sich um Dinge handelte, über die er nichts weiter sagen wollte.
Sie hatte es nie leiden mögen, wenn Erlend ihren Fragen mit dieser Miene begegnete. Gott mochte wissen, sie verlangte nicht, für mehr zu gelten als für ein einfältiges Weib, am liebsten hätte sie alle Verantwortung für anderes als für ihre Kinder und ihren Hausfrauenbereich von sich geschoben. Jetzt aber war sie gezwungen, sich so vieler Dinge anzunehmen, die ihrer Meinung nach viel eher einem Mann zustanden - und Erlend schien dies durchaus selbstverständlich zu finden, er ließ alles auf ihren Schultern ruhen. Da kleidete es ihn nun schlecht, so hochmütig zu sein und sie kurz abzuweisen, wenn sie Rechenschaft über etwas verlangte, was er auf eigene Faust tat und was ihrer aller Wohlfahrt betraf.
Sie nahm diese Feindschaft zwischen Erlend und Simon Darre schwer. Ramborg war ihre einzige Schwester. Und wenn sie daran dachte, daß sie nun den Verkehr mit Simon entbehren sollte, so wurde es ihr erst richtig klar, wie lieb sie diesen Mann gewonnen hatte und wieviel Dank sie ihm schuldete - die beste Stütze in ihrer schwierigen Lage hatte sie an seiner treuen Freundschaft gefunden.
Und sie wußte, daß die Leute im ganzen Tal jetzt darüber reden würden - die von Jörundhof hätten sich jetzt auch mit
Simon auf Formo verfeindet. Simon und Ramborg waren bei jedermann beliebt und geschätzt. Sie selbst, ihr Mann und ihre Söhne wurden von fast allen mit Mißtrauen und Unwillen betrachtet, das hatte sie längst bemerkt. Jetzt würden sie ganz einsam werden.
An jenem ersten Sonntag, da Kristin auf den Platz vor der Kirche kam und Simon dort stehen sah, ein wenig versteckt unter einer Schar von Bauern, meinte sie vor Kummer und Scham in die Erde sinken zu müssen. Er grüßte sie und die Ihren mit einem Neigen des Kopfes, aber es war zum erstenmal, daß er nicht herantrat, ihnen die Hand gab und ein Gespräch mit ihnen anfing.
Aber Ramborg ging auf ihre Schwester zu und ergriff deren Hand.
„Es ist schlimm, Schwester, daß unsere Männer uneins geworden sind - aber du und ich, wir werden deshalb wohl nicht uneins werden.“ Sie hob sich auf die Zehen und küßte Kristin, so daß die Leute auf dem Friedhof es sehen konnten. Aber Kristin wußte nicht, wie es kam - sie glaubte es an sich zu verspüren, daß Ramborg trotz allem nicht so sehr betrübt war. Sie hatte Erlend nie leiden können - Gott mochte wissen, ob nicht sie
Weitere Kostenlose Bücher