Kristin Lavranstochter 2
auch war, von allen Erlendssöhnen schien Björgulv allein nicht in blinder Liebe zu ihm aufzublicken und keinen grenzenlosen Stolz darüber zu empfinden, ihn Vater nennen zu dürfen.
Eines Tages hatten die beiden kleinsten Knaben beobachtet, daß der Vater am Morgen im Gebetbuch las und mit Wasser und Brot fastete. Sie fragten, weshalb er das tue - es sei doch kein Fasttag. Erlend antwortete, dies geschehe um seiner Sünden willen. Kristin wußte, daß diese Fasttage ein Teil jener Buße waren, die Erlend um seines Ehebruchs mit Sunniva Olavstochter willen auferlegt worden war, und daß jedenfalls die ältesten Söhne auch darum wußten. Naakkve und Gaute schienen sich nichts dabei zu denken, in diesem Augenblick aber fiel Kristins Blick auf Björgulv: der Junge saß da, stocherte kurzsichtig in seiner Schüssel herum und lächelte vor sich hin -so hatte sie Gunnulv dann und wann lächeln sehen, wenn Erlend sich brüstete. Der Mutter wurde es schlimm zumute ...
Jetzt war es Naakkve, den Erlend stets um sich haben wollte. Und der junge Bursche war gleichsam mit allen seinen Lebenswurzeln im Vater verankert. Naakkve diente seinem Vater wie ein junger Page seinem Herrn und Fürsten: er wollte unbedingt selbst das Pferd des Vaters versorgen, sein Reitzeug und seine Waffen instand halten, er schnallte Erlend die Sporen an und brachte Hut und Umhang herbei, wenn der Vater ausreiten wollte. Er schenkte dem Vater den Becher voll und schnitt ihm bei Tisch das Essen zurecht, denn er saß auf der Bank gleich rechts neben Erlends Platz. Erlend lachte ein wenig über die Courtoisie und die höfischen Sitten des Knaben, aber es sagte ihm zu, und er zog Naakkve immer mehr und mehr an sich heran.
Kristin sah, daß es Erlend jetzt völlig aus dem Gedächtnis entschwunden war, wie sie gekämpft und gebettelt hatte, um ihm ein wenig Vaterliebe für dieses Kind abzugewinnen. Und Naakkve hatte die Zeit vergessen, in der er zu ihr gekommen und Heilung für allen Schmerz und Rat für alle seine Nöte gesucht hatte, als er noch jung und klein war. Er war stets ein liebevoller Sohn gegen seine Mutter gewesen und war dies in gewisser Beziehung noch immer, aber sie fühlte, je älter der Knabe wurde, desto weiter entfernte er sich von ihr und allem, was um sie war. Für die Sorgen, die sie bedrückten, fehlte Naakkve jegliches Verständnis. Zwar war er nie widerwillig, wenn sie ihm irgendeine Arbeit auftrug, aber er stellte sich seltsam ungeschickt und unbeholfen zu allem, was man Bauernarbeit nennen konnte - er tat die Arbeit ohne Lust und Liebe und wurde mit nichts fertig. Die Mutter dachte, er sei seinem verstorbenen Halbbruder, Orm Erlendssohn, in vieler Beziehung nicht unähnlich - glich ihm auch äußerlich. Aber Naakkve war stark und gesund, zeichnete sich im Tanz und in allen Leibesübungen aus, war ein guter Bogenschütze und auch im Gebrauch anderer Waffen ziemlich tüchtig, ein guter Reiter und hervorragend gewandt im Gebrauch der Schneeschuhe. Kristin sprach eines Tages darüber mit Ulv Haldorssohn, Naakkves Pflegevater. Ulv sagte:
„Keiner hat durch Erlends Unverstand mehr verloren als dieser Knabe. Denn in ganz Norwegen wächst heute kein Kind heran, das besser zum Ritter und Herrn taugt als Naakkve.“
Aber die Mutter begriff, daß Naakkve nie an das dachte, was der Vater ihm zerstört hatte.
Um diese Zeit herrschte wiederum große Unruhe in Norwegen, und Gerüchte kamen auf und flogen durch die Täler, manche glaubhaft, andere wieder ganz unwahrscheinlich. Die Großen südlich und westlich im Reich und im Oberland waren unzufrieden mit König Magnus’ Herrschaft; es hieß, sie hätten ganz offen damit gedroht, zu den Waffen zu greifen, das Volk zusammenzurufen und Herrn Magnus Eirikssohn dazu zu zwingen, nach ihrem Rat und Willen über sie zu herrschen, sonst würden sie den Sohn seiner Muhme, den jungen Jon Haftorssohn von Sudrheim, zum König wählen - dessen Mutter, Frau Agnes, eine Tochter des seligen Königs Haakon Haalegg war. Von Jon selbst wußte man nicht viel, doch sollte sein Bruder Sigurd an der Spitze dieses ganzen Planes stehen, auch Bjarne, Erling Vidkunssohns junger Sohn, war dabei - es hieß, Sigurd hätte versprochen, wenn Jon König würde, würde er einer von Bjarnes Schwestern als Königin nehmen, denn die Jungfrauen auf Giske stammten ebenfalls von den alten norwegischen Königen ab. Herr Ivar Ogmundssohn, der früher König Magnus’ beste Stütze gewesen war, sollte jetzt zur Partei dieser
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