Kristin Lavranstochter 2
starken grausamen Tier mit ansah. Es war ein Gefühl, als gerate ihr Blut ins Kochen, so daß es zischte, und als schwelle ihr Körper an und als müsse ihr Herz brechen, da es eine so ungeheure Blutwelle nicht ertragen konnte.
Ingebjörgshütte lag oben am Berg, ein wenig unterhalb des Hauptweges, der hier in die Höhe hinaufführte. Es hatte viele Jahre hindurch öde dagestanden, und die Äcker waren an einen Mann verpachtet worden, der sich dicht daneben einen Hof gerodet hatte. Jetzt hatte ein armer Mann, der von einer Bettlerschar krank zurückgelassen worden war, dort Unterschlupf gesucht. Kristin sandte Lebensmittel, Kleider und Arzneien hinauf, als sie davon erfuhr, aber sie selbst hatte bis jetzt noch nicht Zeit gefunden, hinaufzugehen.
Kristin sah, daß es mit dem armen Kerl bald zu Ende ging.
Sic gab ihren Sack der Bettlerin, die bei ihm zurückgeblieben war, bemühte sich um den Kranken, obgleich nur wenig zu helfen war, und als sie erfuhr, daß man nach dem Priester gesandt hatte, wusch sie ihm Gesicht, Hände und Füße für die Letzte Ölung.
Es herrschten dicker Rauch und ein entsetzlich übler muffiger Geruch in dem kleinen Raum. Als zwei Frauen hereinkamen, die zum Hausstand des Rodungsmannes gehörten, bat Kristin sie, alles, was sie unter Umständen brauchen könnten, auf Jörundhof zu holen, nahm Abschied von ihnen und ging. Es hatte sie eine seltsame kranke Furcht davor befallen, dem Priester mit dem Corpus Domini zu begegnen, und so bog sie in den ersten Seitenpfad ein, an den sie gelangte.
Es war nur ein Viehsteig, das sah sie sogleich; sie kam in ganz unwegsames Gelände. Vom Wind umgestürzte Bäume, die mit ihrem Wurzelwerk gen Himmel ragten, sahen erschreckend aus; sie mußte oft über sie hinwegklettern. Stücke von Moos glitten unter ihren Füßen weg, wenn sie zwischen großen Steinen hinabsteigen mußte. Spinnweben hängten sich ihr ins Gesicht, und Zweige schlugen nach ihr und hielten sie an den Kleidern fest. Mußte sie über einen Bach oder kam sie an eine moorige Lichtung im Wald, so war es ihr kaum möglich, einen Platz zu finden, wo sie durch das dichte nasse Gebüsch hindurchschlüpfen konnte. Und überall war das häßliche weiße Nachtgewimmel, drängte sich unter den Bäumen im Dunkel zusammen, schwärmte aus den Heidekrautbüscheln, auf die sie trat, in ganzen Wolken auf.
Schließlich aber kam sie doch auf die flachen Felsen unten beim Fluß. Hier stand ein lichter Kiefernwald, denn hier mußten die Bäume ihre Wurzeln auf dem mageren Felsen ausbreiten, und der Waldboden bestand beinahe nur aus trockenem weißlichgrauem Renntiermoos, das unter ihren Füßen knisterte
- nur ab und zu ragte ein kleiner heidekrautbewachsener Hügel dunkel heraus. Der Geruch der Tannennadeln war heißer, trockener und schärfer als höher oben - hier sah der Wald stets schon vom Frühjahr an wie versengt aus. Die weißen Nachtfalter verfolgten sie auch weiterhin.
Das Flußrauschen zog sie an. Sie kam bis ganz an die Schlucht heran und blickte hinunter. Tief drunten schimmerte es weiß von dem Wasser, das donnernd von Absatz zu Absatz über die Felsen hinabstürzte.
Durch ihren Körper und ihre Seele, die übermäßig angespannt waren, zitterte das einförmige Dröhnen des Wasserfalls. Es mahnte und mahnte an etwas - an etwas vor ewig langen Zeiten, schon damals hatte sie begriffen, daß sie das Schicksal nicht zu tragen vermochte, das sie sich selbst erwählt hatte. Sie hatte ihr beschirmtes sanftes Mädchendasein einer verheerenden fleischlichen Liebe geöffnet - seitdem mußte sie in Angst und Angst und wiederum Angst leben, ein unfreies Weib, vom ersten Augenblick an, da sie Mutter wurde. Der Welt hatte sie sich in ihrer Jugend hingegeben, und je mehr sie in den Schlingen der Welt zappelte und um sich schlug, desto härter fühlte sie sich in der Welt gefangen und gebunden. Ihre Söhne züchtigte sie, um sie mit den vom Zwang der zeitlichen Sorge gebundenen Schwingen zu schützen. Ihre Angst, ihre unsägliche Schwäche vor allen Menschen zu verbergen, hatte sie sich bemüht, war mit aufrechtem Rücken und ruhiger Miene dahingegangen, hatte stillgeschwiegen und gekämpft, um die Wohlfahrt ihrer Kinder auf alle nur erdenkliche Weise zu sichern.
Aber stets mit dieser heimlichen, atemlosen Angst: Ergeht es ihnen einmal schlecht, so kann ich es nicht ertragen. Und zutiefst im Herzen jammerte sie in Erinnerung an ihren Vater und ihre Mutter. Wie diese mit Angst und Sorge um ihre Kinder
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