Kristin Lavranstochter 2
mit weitoffenen erstaunten Augen ins Gesicht, aber die fünf älteren Brüder verbargen den Blick vor ihr, als sie die Stube verließen.
3
Die Tage gingen dahin. Die erste Zeit war Kristin nicht ängstlich. Sie mochte nicht darüber nachdenken, was Erlend mit seinem Vorgehen beabsichtigte, mit dieser Art, so zur Nachtzeit im Jähzorn von daheim wegzulaufen, oder wie lange er vorhatte, dort oben auf seinem Berghof zu sitzen und sie mit seiner Abwesenheit zu strafen. In ihr kochte es noch vor Zorn auf ihren Gatten und am allermeisten deshalb, weil sie vor sich selbst nicht leugnen konnte, daß auch sie unrecht hatte und daß sie Worte gesagt hatte, die nicht gesagt zu haben sie aus tiefstem Herzen wünschte.
Wohl hatte sie gar oft unrecht gehabt und hatte auch oft in der Hitze des Streites böse und häßliche Worte zu ihrem Manne gesagt. Am bittersten aber kränkte sie, daß Erlend nie von selbst vergeben und vergessen konnte, nie, ohne daß sie sich demütigte und ihn schön darum bat. Es war ja auch nicht so oft vorgekommen, dünkte es sie, daß sie sich so verrannt hatte; konnte er denn nicht begreifen, daß nur dann, wenn sie müde und erschöpft war von Sorgen und Ängsten, die sie im stillen zu tragen sich bemüht hatte - daß sie dann am leichtesten die Herrschaft über sich selbst verlor. Es dünkte sie, Erlend hätte sich an all das erinnern müssen, was sie in Jahr und Tag an Kummer um die Zukunft ihrer Söhne getragen hatte, daran, daß sie in diesem Sommer zweimal eine entsetzliche Angst um Naakkve durchgemacht hatte. Jetzt waren ihr die Augen darüber aufgegangen, daß auf die Last und die Mühen der jungen Mutter für die alternde Mutter Furcht und Sorge einer neuen Art folgten. - Sein sorgloses Geschwätz, daß er um die Zukunft der Söhne keine Angst habe, hatte sie erregt, bis sie wie eine wilde Bärin wurde - oder wie eine gereizte Glucke mit Küken; Erlend konnte gern sagen, daß sie wie eine Glucke über ihren Kindern wache. Wachsam und wach wie ein Tier wollte sie sein, solange noch ein Funken Leben in ihr war.
Und wollte er um dieser Sache willen vergessen, daß sie jedesmal, wenn es galt, nach besten Kräften an seiner Seite gestanden hatte, daß sie trotz ihrem Zorn vernünftig und gerecht gewesen war, als er sie schlug, und auch damals, als er sie mit dieser verhaßten leichtfertigen Lenviksfrau betrog, so mochte er das tun. Selbst jetzt konnte sie nicht so tiefen Groll und solche Bitterkeit gegen Erlend um dieser schlimmsten Sache willen empfinden, die er ihr angetan hatte - wenn sie sich mit ihren Klagen über dieses gegen ihn wandte, so geschah es, weil sie wußte, daß er dies selbst bereute, daß er hier begriff, wie schlimm er gehandelt hatte. Nie aber war sie auf Erlend so böse gewesen - und sie war es auch jetzt nicht -, daß nicht die Erinnerung an seinen Schlag und an seine Untreue mit allem, was diese im Gefolge hatte, ihr um des Mannes selbst willen die meisten Sorgen bereitete; sie fühlte stets, daß er mit diesem Ausbruch seines unbeherrschten Sinnes mehr gegen sich selbst und das Wohl seiner Seele gesündigt hatte als gegen sie.
Das, was sie weiterhin schmerzte, waren all die kleinen Wunden, die er ihr mit seiner unfreundlichen Gleichgültigkeit geschlagen hatte, mit seinem kindischen Mangel an Geduld - ja sogar mit der übermütigen und gedankenlosen Art seiner Liebe, wenn er zeigte, daß er trotz allem Liebe zu ihr empfand. In allen jenen Jahren, da sie jung und ihr Gemüt weich war, hatte sie fühlen müssen, wie Gesundheit und Seelenkraft nicht verschlugen, wenn sie so rings von einer Schar wehrloser kleiner Kinder umgeben im Leben stand, wollte nicht der Vater, der Gemahl, zeigen, daß er nicht nur die Kraft, sondern auch die Liebe dazu hatte, sie und ihre kleinen Söhne zu schützen. Es war solch eine Qual gewesen, sich selbst körperlich so schwach zu fühlen, einfältig und unerfahren, und es dabei nicht zu wagen, sich auf die Klugheit und Stärke des Mannes zu verlassen - es war, als habe ihr Herz damals Wunden davongetragen, die nie wieder heilen wollten. Selbst die süße Lust, die es bedeutete, den Säugling emporzuheben, seinen lieblichen Mund an die Brust zu legen und den kleinen warmen weichen Leib auf dem Arm zu fühlen, selbst sie wurde von der Furcht und Unruhe verbittert - so klein, so schutzlos bist du, und dein Vater denkt nicht daran, daß er vor allem dich schützen sollte...
Und jetzt, da ihre kleinen Kinder groß und stark geworden waren, aber
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