Kristin Lavranstochter 2
wahrscheinlich, daß wir, du oder ich, je unseren Fuß auf diesen Hof dort setzen werden - wenn die Häuser überhaupt noch stehen und nicht eingefallen sind. Und uns selber den Zehent heimbringen werden doch wohl weder Muhme Aashild noch Herr Björn. Uns kann es also kaum etwas schaden, wenn es wirklich wahr ist, daß sie dort umgehen, wie die Leute sagen . ..“
Als das Jahr sich seinem Ende zuneigte und Kristins Gedanken stets um das eine kreisten, wie es Erlend dort oben auf Haugen wohl gehe, wurde sie so schweigsam, daß sie zu ihren Kindern oder zu dem Gesinde kaum mehr ein Wort sagte, außer wenn sie deren Fragen beantworten mußte - und diese scheuten sich, ohne triftigen Grund das Wort an Kristin zu richten, denn sie gab kurze und ungeduldige Antworten, wenn man bei ihr eindrang und sie in ihrem unruhigen und gespannten Grübeln störte. Sie selbst wurde dies kaum gewahr, und als sie schließlich bemerkte, daß die beiden jüngsten Kinder aufgehört hatten, nach ihrem Vater zu fragen oder sonst über ihn zu sprechen, seufzte sie und dachte, wie rasch doch Kinder vergessen ... Aber sie wußte nicht, wie oft sie selbst die Kleinen mit ihren ungeduldigen Antworten zurückgeschreckt hatte, wenn sie ihnen befahl, still zu sein und sie nicht zu plagen.
Mit den älteren Söhnen sprach sie sehr wenig.
Solange der trockene Frost anhielt, konnte sie fremden Leuten, die auf den Hof kamen und nach ihrem Mann fragten, sagen, er sei im Gebirge und versuche sein Jagdglück. Dann aber trat ein großer Schneefall ein, sowohl im Tal als auch im Gebirge, in der ersten Adventswoche.
Am frühen Morgen des Sankta-Lucien-Tages, als es draußen noch pechschwarz und sternenklar war, trat Kristin aus dem Kuhstall. Da sah sie beim Licht einer Kienfackel, die in den Schnee gesteckt war, daß drei ihrer Söhne vor dem Wohnhaus standen und im Begriff waren, sich Schneeschuhe an die' Füße zu binden - und ein wenig weiter weg stand Gautes Wallach mit einem Saumsattel auf dem Rücken, an den Hufen hatte er Schneereifen. Kristin erriet, wo die Burschen hinwollten; so wagte sie nichts weiter zu sagen, sondern fragte nur, als sie Björgulv unter ihnen sah - die beiden anderen waren Naakkve und Gaute:
„Willst du mit Schneeschuhen Weggehen, Björgulv - heute gibt es sicher einen klaren Tag, mein Sohn!“
„Ihr seht es, Mutter.“
„Vielleicht kommt ihr noch vor Mittag wieder heim?“ fragte sie ratlos. Björgulv war sehr wenig gewandt auf den Schneeschuhen; er vertrug mit seinen Augen das Flimmern des Schnees nicht und hielt sich zur Winterszeit meist im Haus auf. Aber Naakkve antwortete, daß sie vielleicht einige Tage ausblieben.
Kristin ging in Unruhe und Angst daheim umher. Die Zwillinge waren störrisch und verdrossen, Kristin merkte, daß sie hatten mitgehen wollen, aber von den erwachsenen Brüdern nicht mitgenommen worden waren.
Früh am fünften Tag, um die Zeit des Morgenimbisses, kamen die drei zurück. Sie waren um Björgulvs willen noch im Morgendämmern aufgebrochen, erzählte Naakkve - um noch vor Sonnenaufgang daheim zu sein. Die beiden gingen sofort in ihren Schlafraum hinauf, Björgulv sah zum Umfallen müde aus; Gaute aber trug Säcke und Saumsattel in die Stube. Für die kleinen Jungen hatte er zwei schöne junge Hunde mitgebracht -jetzt vergaßen die Kinder alles Fragen. Gaute schien verlegen zu sein, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen.
„Und das“, sagte er und zog etwas aus dem Sack, „das hieß mich der Vater Euch geben.“
Es waren vierzehn ungewöhnlich schöne Hermelinfelle. Die Mutter nahm sie in Empfang, ziemlich verlegen - sie konnte kein Wort zu einer Entgegnung finden. Es gab so allzu vieles, wonach sie hätte fragen wollen; sie fürchtete, überwältigt zu werden, wenn sie ihr Herz auch nur einen Spalt weit öffnete - und Gaute war so jung. So konnte sie nur sagen: „Sie sind schon weiß, wie ich sehe - jaja, wir sind ja jetzt auch tief in der Winterhälfte ...“
Als Naakkve herunterkam und er und Gaute sich ans Essen machten, sagte Kristin rasch zu Frida, sie wolle selber Björgulv etwas zu essen hinaufbringen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als könne sie mit dem wortkargen Knaben, der, wie sie ahnte, im Innern viel erwachsener war als die Brüder, vielleicht über diese Sache sprechen.
Er hatte sich zu Bett gelegt und drückte ein Tuch auf seine Augen. Die Mutter hängte einen Wasserkessel über das Feuer, und während Björgulv auf den Ellbogen gestützt im Bett lag
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