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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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einer Bandoneon zu spielen. Sie sangen dazu schwermütige, polnische Lieder. Ein schlanker, älterer Mann kündigte eine große Nummer an. Er könnte ein Wachsfigurenkabinett vorführen. Er trug zwei Männer und eine Frau herein, die sich steif wie leblose Puppen hielten, hob ihre Arme, drehte ihren Kopf, machte allerhand dummes Zeug mit ihnen und trat schließlich unter Beifall ab.
    Die Waczlawski wollte singen. Unter dem Fleischgebirge verbarg sich tatsächlich ein kräftiger Sopran, für den das kleine Bandoneon kaum eine Konkurrenz bedeutete. Die dicke Frau sang von einer traurigen Liebe. Viele summten mit und die übermütige Stimmung schien sich in Melancholie aufzulösen. Da kam Weronika zur Tür herein, Flaschen in beiden Händen. Sie rief ihrem Manne zu: »Donatka, versteigere unsere Möbel.«
    Der fand den Plan großartig und sprang auf die Bank. Sie drängten sich alle in die große Küche.
    »Und gleich als Erstes das Sofa! Roter Plüsch. Erstklassig gefedert. Vor drei Jahren aufgearbeitet. Wer macht ein Angebot?«
    Donatka blickte herausfordernd in die Schar der Gäste.
    »Fünf Zlotys«, piepste eine kleine Frau.
    »Fünf Zlotys! Ich werd verrückt! Fünf Zlotys? Dafür können sie das rechte Polster bekommen, liebe Frau. Aber doch nicht ein ganzes Sofa!«
    »Zehn Zlotys«, bot der Mann, der neben der ersten Bieterin stand.
    »Bist du wahnsinnig, Waclaw?«, keifte die Frau. »Überbietest deine eigene Frau?«
    Donatka schrie: »Ruinieren Sie mich nicht, Väterchen. Bedenken Sie, allein die Durchreise durch die DDR kostet pro Person hundertzwanzig Zlotys!«
    Dennoch verkaufte er das Sofa zu dem lächerlich niedrigen Gebot. Den Küchenschrank, den Herd, die Bilder, das Schlafzimmer, in weniger als zwei Stunden hatte Donatka beinahe das ganze Inventar verkauft. Stanek stand abseits; mit jedem Stück verband er eine Erinnerung an seine Mutter.
    »Und nun diese Uhr, dieser Regulator hier. Stammt von meiner Irina, Gott hab sie selig.«
    »Fünfzehn Zlotys«, rief es aus der Menge.
    Da sprang Stanek neben seinen Vater auf die Bank. »Wird nichts draus!«, schrie er böse. »Die Uhr wird nicht verkauft.«
    »Junge, spiel nicht verrückt. Was wollen wir mit Irinas Erbstück? Sie kostet nur Zoll, wenn wir sie mitnehmen. Wer bietet mehr?« Donatka drehte dem Jungen den Rücken zu.
    »Fünfundzwanzig Zlotys.«
    »Fünfunddreißig.«
    »Fünfzig.«
    »Brav! Sie ist ihr Geld wert. Geht seit acht Jahren auf die Minute genau«, stachelte Donatka die Käufer an.
    Da zerrte ihn Stanek an der Schulter. »Hör auf, Vater. Die Uhr von Mutter wird nicht verkauft.«
    Donatka schüttelte die Hand seines Sohnes ab. »Ich bestimme, was hier verkauft wird und was nicht, Bürschchen. Merk dir das.«
    Seine Stimme war leise, scharf geworden. Die Fröhlichkeit war mit einem Male verflogen.
    »Gib’s ihm, dem Lorbass«, kreischte die dicke Frau Waczlawski. »Hat mir meine Wurst aufgefressen.«
    »Ich biete sechzig Zlotys«, rief einer der Arbeitskollegen.
    »Mutter hat gesagt, das soll mal meine Uhr werden«, sagte Stanek. »Ich lass mir nicht auch noch Mutters Uhr von dir stehlen.« Stanek stand seinem Vater drohend gegenüber.
    »Lass ihm doch den Regulator, Donatka.« Weronika versuchte ihren Mann zu besänftigen und fasste seinen Arm. Er riss sich heftig los, sie schlug gegen die Wand.
    »Geh von der Bank und verschwinde«, drohte er.
    »Ich denke nicht daran!« Stanek trat nahe an seinen Vater heran. Kaum jemand hatte den Ansatz des Hakens gesehen, mit dem Donatka ihn voll unter das Kinn schlug. Stanek hatte nicht einmal mehr Zeit, seine Arme schützend zu heben. Er stürzte schwer von der Bank. Während Weronika sich jammernd über Stanek beugte und ihn zu stützen versuchte, wandte sich Donatka wieder den Käufern zu.
    »Wer war das, mit den sechzig Zlotys?«
    Der Mann hob seinen Arm.
    »Kannst die Uhr . . .«
    »Ich biete dir hundert Zlotys, du Holzkopf.« Kalt und voll Verachtung schleuderte Großmutter ihm den Satz ins Gesicht.
    »Hundert Zlotys?«, fragte Donatka blöd.
    »Na, gib schon die Uhr.«
    »Hast du hundert Zlotys?«, fragte Donatka misstrauisch.
    Großmutter riss vom Kalender an der Wand ein Blatt ab und schrieb auf die Rückseite mit einem Bleistift in deutscher Sprache: »Ich zahle dem Überbringer hundert Zlotys«, und setzte ihre Unterschrift darunter.
    Donatka nahm die Uhr von der Wand. Großmutter verließ wortlos das Haus.
    Kristina folgte ihr.
    »Was willst du bloß mit dem Regulator, Großmutter?«,

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